Flucht aus Walbeck in der DDR

Die Flucht aus Walbeck in der DDR

Irmchen Remus wird am 28. Juli 1935 als Irma Meyer in Weferlingen geboren. An diesem Tag ahnt noch niemand, dass Deutschland 10 Jahre später geteilt sein wird.

Ihre ersten Lebensjahre verbringt Irma hauptsächlich bei ihren Großeltern in Weferlingen, die sich liebevoll um sie kümmern. Während ihre Mutter tagsüber arbeiten geht, arbeitet die Oma nachts. Ihren Vater wird Irma nicht kennen lernen.

Als Irma eingeschult wird, zieht sie zu ihrer Mutter und ihrem Stiefvater nach Walbeck. Das Kriegsende erlebt sie noch während ihrer Schulzeit. Zunächst ist die Freude groß, als amerikanische Soldaten in Walbeck ankommen. Die Kinder freuen sich über die Schokolade und das Kaugummi. Doch weniger Wochen später übernehmen die Russen Walbeck. Als 13-Jährige erlebt sie, wie Walbeck unter russische Besatzung gestellt wird. Nur einen Steinwurf entfernt von ihrem Elternhaus wird Deutschland geteilt. Es entsteht die Deutsch-Deutsche-Grenze.

1948 muss Familie Meyer ihr Haus räumen. Da Irmas Elternhaus direkt an der Grenze zum Westen liegt, beschlag- nahmen russische Offiziere das Haus. Vom Haus aus haben sie direkte Sicht auf die am Klosterberg verlaufende Grenze. Innerhalb von vier Stunden muss die fünfköpfige Familie ihr Haus räumen und erhält eine Zwei-Zimmer-Wohnung zugewiesen.

Irmas Elternhaus in Walbeck; Foto: privat

Die Russen bleiben ein Jahr lang im Haus. Vier Wochen vor Irmas Konfirmation im Frühjahr 1949 darf die Familie in ihr Haus zurückkehren.

Die innerdeutsche Grenze ist zu dieser Zeit noch nicht befestigt, so dass die Menschen nach wie vor vom Osten in den Westen und wieder zurück über die Grenze gehen. Auch Irma und ihre Freundinnen passieren die “grüne Grenze” immer wieder.

Als sie an einem Tag nach dem Besuch des im Westteil gelegenen Brunnentheaters in Helmstedt auf dem Heimweg die Grenze passieren, werden Irma und ihre Freundinnen von russischen Soldaten in Arrest genommen. Sie kommen jedoch nach ein paar Stunden durch die Intervention ihres Stiefvaters wieder frei.

Am 28. Juli 1949 verlässt Irma Meyer die Schule in Walbeck. Während in den Schulen im Westen Englisch als Fremdsprache gelehrt wird, wird im Osten Russisch unterrichtet. Und so beendet Irma mit der Note 2 in Russisch die Schule.

Wenige Monate nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Westen, wird am 7. Oktober 1949 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik gegründet, die DDR. Die Sicherung und Bewachung der innerdeutschen Grenze im Osten wird von den russischen Truppen an die Grenztruppen der DDR übergeben. Die

Flagge der DDR

Grenze wird nun nach und nach stärker bewacht.

Für die knapp 17-jährige Irma wird das Leben immer unerträglicher. Das angespannte Verhältnis zum Stiefvater, aber vor allem auch die mehr und mehr zu spürende Unfreiheit in der sich entwickelnden sozialistischen DDR lässt in Irma einen Entschluss reifen. Als sie im Ort hört, dass die Grenze “dicht gemacht” werden soll, entscheiden sie und zwei befreundete Jungs aus Walbeck sich zur Flucht in den Westen. Am 13. Mai 1952 machen sich die drei mit einem Handwagen auf den Weg Richtung Grenze. Begleitet werden sie von Maria, der Schwester eines der Jungen. Sie selbst will nicht fliehen, sondern den dreien dabei nur helfen. Ein Handwagen wird zur Tarnung – man wolle im Wald Holz sammeln – mitgenommen. Darin werden ein Paar Wechselschuhe versteckt, die man nach der Durchquerung der Riede, einem kleinen Bachlauf, anziehen will.

Als die kleine Gruppe an der Grenze auf patrouillierende Grenzsoldaten trifft, wird sie angehalten. Da die Jugendlichen die Grenzer kennen, erklären sie, man wolle Holz sammeln. Sie dürfen weiterziehen. Maria bringt die drei mit dem Handwagen den Klosterberg hinunter bis zur Riede. Dort queren Irma und die beiden Jungs den Bachlauf, ziehen sich auf der anderen Seite die trockenen Schuhe an und machen sich auf den Weg in das nahe gelegene Helmstedt zum Bahnhof. Später beschreibt Irma den Moment in Freiheit so:

In Helmstedt hatten wir ein Gefühl, das ist unbeschreibbar. Wir waren frei.

– Irma Remus, im Zeitzeugeninterview am 2. Oktober 2019

Während die beiden Jungen in Helmstedt bleiben, kauft sich Irma eine Zugfahrkarte und fährt mit dem Zug nach Wenden bei Braunschweig zu einer Tante. Die Flucht ist für die drei Jugendlichen nicht ganz unvorbereitet. Einer der beiden Jungen tritt gleich eine Stelle als Bäcker in Helmstedt an und Irma fährt bereits am nächsten Tag nach Essenrode. Dort wird sie von einer anderen Tante erwartet, die ihr eine Stelle bei Familie Gaus im Haushalt besorgt hat. Später bekommt sie eine Stelle bei dem Bauern Weber im Haushalt.

Was die drei Jugendlichen einige Zeit zuvor gehört hatten – die Grenze wird dicht gemacht – sollte sich nun bewahrheiten. Als immer mehr Menschen die durchlässige Grenze zur Flucht in den Westen nutzen, werden Stacheldrahtzäune errichtet und Hunde zur Bewachung eingesetzt. Einige Jahre später wird die Grenze zu einem kaum überwindbaren Bollwerk.

Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.

– DDR Staatsratschef Walter Ulbricht am 15. Juni 1961

Der Mauerbau und die Befestigung der innerdeutschen Grenze begannen mit einer Lüge. Die Journalistin Annemarie Doherr der Frankfurter Rundschau stellte am 15. Juni 1961 in einer Pressekonferenz eine Zusatzfrage an DDR-Staatsratschef Walter Ulbricht. Ulbricht versicherte, es werde keine Mauer gebaut. Zwei Monate später ist die Berliner Mauer gebaut. Fast 30 Jahre lang sollte sie Deutschland trennen.

innerdeutsche Grenze bei Hötensleben; Foto: privat

“Die schmerzlichsten Folgen hatte der Mauerbau jedoch für die Menschen in Ost-Berlin und der DDR. Denn sie hatten nun kein „Schlupfloch“ mehr nach Westen. Und wer über die Mauer oder die innerdeutsche Grenze fliehen wollte, musste damit rechnen, erschossen zu werden. Dass es den „Schießbefehl“ tatsächlich gab, ist seit einigen Jahren auch schriftlich belegt. Viele Menschen haben bei Fluchtversuchen ihr Leben gelassen.” Quelle: www.bundesregierung.de/breg-de/themen/deutsche-einheit/-niemand-hat-die-absicht-eine-mauer-zu-errichten–393932, abgerufen 19.02.2020

Bereits vor dem Mauerbau und der Errichtung der kam überwindbaren Grenzbefestigungen, kommen Menschen beim Versuch die Grenze zu überqueren ums Leben. Zu den vielen Menschen, die an der Grenze ihr Leben gelassen haben, zählt auch Irmas Vater. Zwei Tage vor seinem vierzigsten Geburtstag, am 28. Januar 1949, um 20:30 Uhr kommt Otto Karl Meyer an der Grenze ums Leben. In seiner Sterbeurkunde wird als Todesursache vermerkt: “Tod durch Erschießen”.

Otto Meyer war zum Verhängnis geworden, als Fluchthelfer Menschen von Weferlingen nach Grasleben zur Flucht über die Grenze in den Westen zu verhelfen. Am 28. Januar 1949 um 20:30 Uhr wird Otto Meyer von einem russischen Soldaten an der Grenze in der Nähe von Weferlingen auf einer Wiese erschossen. Von dem Tod ihres Vaters wird Irma erst viele Jahre später erfahren. Otto Meyer ist in Weferlingen begraben.

Ein Jahr nach Irmas Flucht entscheidet sich auch der jüngere Bruder Heinz zur Flucht und flieht nach Essenrode. Mutter, Stiefvater und der jüngste Stiefbruder Klaus bleiben in Walbeck.

Als Irma im Mai 1952 in Essenrode ankommt, fühlt sie sich gut aufgenommen und findet gleich Freunde. Die Verwandten in Essenrode, die neuen Freundinnen und die Junge Gesellschaft mit dem Fahnenjagen haben großen Anteil daran, dass Irma sich schnell in Essenrode zuhause fühlt.

Irmas Mutter Martha; Foto: privat

Irma vermisst aber trotz allem ihre Mutter sehr. 1957 besucht die Mutter Irma in Essenrode zur Verlobung mit Paul Remus, ihrem späteren Ehemann. Kurze Zeit nach der Verlobung erhält Irma die Nachricht vom Tod ihrer Mutter. Sie stirbt 43-jährig am 21. September 1957. Irma und ihr Ehemann Paul erhalten die Einreisegenehmigung zu Beerdigung nach Walbeck. Danach gibt es für Irma keine Möglichkeit mehr Walbeck zu besuchen. Aufgrund der Lage unmittelbar an der Grenze ist Walbeck Sperrgebiet und darf auch von DDR Bürgern nur mit Ausnahmegenehmigung betreten werden.

1958 heiratet Irma Paul Remus, der schon im März 1945 nach einer zweimonatigen Flucht aus Pommern in Essenrode angekommen war. Im November 1958 wird ihre Tochter Bettina geboren. Gemeinsam mit den Schwiegereltern bauen sie ein Haus. Im November 1960 wird Sohn Roland und im Februar 1968 Sohn Torsten geboren.

Erst 33 Jahre später, mit dem Fall der Mauer, wird Irma Walbeck wieder besuchen. Seitdem ist sie immer wieder gerne in Walbeck und Weferlingen. Und der Mauerfall hielt für Irma noch eine weitere Über-raschung bereit. Eine weitere Tochter ihres Vaters von der sie bis dahin nichts wusste, tauchte auf – Irmas Halbschwester Erika.

Blick von der Ruine der Stiftskirche St. Marien über Walbeck auf den Klosterberg; Foto: privat

Flucht aus Tolkemit in Westpreußen

Die Flucht aus Tolkemit in Westpreußen

Anni Konnegen wird am 24. Januar 1932 in Tolkemit in Westpreußen geboren. An ihrem 13ten Geburtstag beginnt für Anni Konnegen gemeinsam mit ihrer 19-jährigen Schwester Grete die Flucht aus Tolkemit. Beide werden von der Familie getrennt und erst im November 1957 dürfen sie aus Polen zu ihren Eltern nach Essenrode ausreisen.

Anni Konnegen hat ihre Fluchterlebnisse in einem Buch festgehalten, das sie mit folgenden Worten beginnt:

Dieses Buch ist eine Reise zurück in meine Vergangenheit… und es erzählt die traurige Geschichte der Flucht aus unserem geliebten Zuhause…

Anni Konnegen in “Ostpreußen – meine Heimat mein zuhaus”

Anni Konnegen wird als jüngste Tochter der Familie Gehrmann in dem kleinen Städtchen Tolkemit in Westpreußen am Frischen Haff geboren.

Familie Gehrmann; v.l. Lene, Anni, Mutter, Tonie, Vater, Grete; Foto: privat

Vater Ferdinand arbeitet in der Ziegelei in Panklau. Als Anni acht Jahre alt ist, stirbt ihre Mutter mit nur 42 Jahren. Annis Schwester Grete übernimmt nun die Verantwortung für den Haushalt und wird zum Mutterersatz. Bis zu ihrem Fluchtbeginn besucht Anni die Volksschule in Tolkemit während ihre Schwester Grete in der Töpferei “Tolkemiter Erde” arbeitet.

Administrative Gliederung des Reichsgau Danzig-Westpreußen; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Danzig-Westpreussen.png

Es war der 24. Januar 1945, mein 13ter Geburtstag. Eigentlich ein schöner Tag, doch es war der Tag der Flucht, der Tag an dem ich mit meiner Schwester Grete, damals 19 Jahre jung, unser Zuhause verlassen musste.

Am Nachmittag um 15 Uhr kamen die Vorboten der Russischen Armee aus Richtung Elbing und verstärkten sich bis zum Abend hin ins Unermessliche. Die Russen gingen in die Häuser, suchten sich Frauen und junge Mädchen aus und vergewaltigten sie.

Grete und ich versteckten uns oben im Kinderzimmer als Papa zu uns kam und sagte: “Kinder lauft!” Also liefen wir!!!

In der Frauenburger Straße wohnte Familie Neumann, mit dessen Tochter Grete befreundet war. Dort konnten wir uns verstecken. Zwei Tage lang. Leider wurden wir verraten und die Russen kamen und zündeten das Haus an. Vorne das Feuer und hinten liefen wir alle aus dem brennenden Haus. …

Um uns herum war nur noch das Pfeifen der Geschosse zu hören. Auf unsere Familie konnten wir nicht mehr warten. Sie flohen alle ein paar Tage später.

Anni Konnegen in “Ostpreußen – meine Heimat mein zuhaus”

Anni und Grete sind von ihrer Familie getrennt. Nachdem beide bereits seit Wochen unter widrigsten Bedingungen unterwegs sind, scheitert ihre Flucht gen Westen im März 1945. Wie viele andere Flüchtende werden auch Anni und Grete von den russichen Truppen überlaufen. Anni Konnegen schreibt dazu weiter:

Wohnhaus der Familie Gehrmann in Tolkemit (die erste Haushälfte vorn links); Foto: privat

Grete und ich hatten nur noch uns! … Meine Schwester erkrankte und bekam die Ruhr. … Nach Gretes Genesung bekamen wir eine Unterkunft bei Bauer Rägger in Wusterwitz, Kreis Schlawe. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon den Monat März. Wusterwitz wurde 2-3 Tage später geräumt und es ging weiter nach Stolp. … Auch dort hieß es ein paar Tage später wieder “Rette sich wer kann” die Brücken werden gesprengt … Wieder liefen wir! Allein! Immer dorthin wo viele Leute waren … bis wir dann in Starnitz ankamen.

In Starnitz blieben wir dann erstmal in der Schule. Allerdings schon unter russischer Aufsicht und die Einheimischen hießen uns auch nicht Willkommen. Dort bekam ich die Ruhr und Typhus. Grete wurde verschleppt und musste Bahnschienen entfernen, sodass ich nun ganz alleine war. Fremde Leute kümmerten sich ein wenig um mich.

Nach ein paar Wochen kam Grete wieder und wir fanden in Starnitz ein leerstehendes Zimmer mit zwei Betten und einer Ofenbank wo wir ein gutes Jahr Unterschlupf fanden. Anni Konnegen in “Ostpreußen – meine Heimat mein zuhaus”

Grete und Anni; Foto: privat

Anni und ihre Schwester finden Arbeit auf einem Gut Gottberg. Während Grete arbeitet, passt Anni auf russische Kinder auf. Zunächst steht alles noch unter russischer Verwaltung. Anni schreibt weiter:

Nun musste ich Essen besorgen und ging betteln und hamstern. Ein paar Bauersfrauen gaben mir öfter eine Kanne Haferschleim für Grete und mich. …

Während Grete arbeitete passte ich bei den Russen auf deren Kinder auf. So bekam ich eine kleine Mahlzeit am Tag und ein Junge schoss mir immer Spatzen zum Essen. Anni Konnegen in “Ostpreußen – meine Heimat mein zuhaus”

Im Sommer 1945 wird Tolkemit gemäß dem Potsdamer Abkommen neu zugeteilt. Zusammen mit ganz Hinterpommern, ganz Westpreußen und der südlichen Hälfte Ostpreußens wird es unter polnische Verwaltung gestellt und erhält den polnischen Ortsnamen Tolkmicko.

Auf dem Gut Gottberg lernt Anni ihren späteren Ehemann Erwin Konnegen kennen. Seine Flucht aus Ostpreußen endete ebenfalls hier und er hatte eine Arbeit als Traktorist bekommen.

Am 9. Oktober 1954 heirateten wir und Erwin zog zu uns. Nach der Hochzeit hörte ich mit der Arbeit auf dem Gut auf und wir erarbeiteten uns eine eigene Viehwirtschaft. Erwin und Grete arbeiteten auf dem Gut und ich kümmerte mich um Haushalt und Vieh, was mir sehr viel Freude bereitete. Wir hatten Schafe, Schweine, Ziegen, Hühner und Gänse. Es gab viel zu tun …

Anni Konnegen in “Ostpreußen – meine Heimat mein zuhaus”

1955 wird Sohn Wilfried und 1957 Tochter Marlis geboren. Anni hat nun eine eigene Familie gegründet und sich gemeinsam mit Ehemann und Schwester eine gute Lebensgrundlage geschaffen. Dennoch bleibt der Wunsch und die Sehnsucht, zu ihren Eltern zurück zu kehren.

Trotz dieser positiven Ereignisse arbeiteten wir all die Jahre weiter an unserer Ausreisegenehmigung nach Deutschland. Starnitz war ja von 1945 bis 1949 noch unter russischer Aufsicht und gehört seit 1949 zu Polen.

1956 hieß es, man sollte sich einpolen lassen, was wir nicht taten, mit der Begründung, wir wollten zu den Eltern nach Deutschland. So kam es, dass wir Polen Anfang November 1957 verlassen durften.

Anni Konnegen in “Ostpreußen – meine Heimat mein zuhaus”

Im Durchgangslager Friedland bei Göttingen verbringen Anni und ihre Familie eine Nacht. Am nächsten Tag holt Annis Vater sie von dort ab. Die Freude ist auf beiden Seiten groß! Ihr Ankommen in Essenrode beschreibt Anni später so:

Am vierten Tag unserer Einreise fing Erwin schon an zu arbeiten, Lenes Mann Erich hatte ihm einen Arbeitsplatz bei VW in Wolfsburg vermittelt, dem er bis zu seiner Rente nachging, genau wie Grete. Anni Konnegen in “Ostpreußen – meine Heimat mein zuhaus”

Nach über zwölf Jahren Trennung von Eltern und Familie war das Ankommen in Essenrode dann doch nicht so leicht wie erhofft. Auch wenn die Freude riesig war, dass man als Familie wieder an einem Ort vereint war, lagen doch ziemliche Herausforderungen vor den Neuankömmlingen.

Trotzdem begann für uns eine schwere Zeit! Es kam Weihnachten und wir hatten nichts.

Unterstützung von der Kirche oder Gemeinde bekamen wir nicht. Noch nicht einmal eine helfende Hand wurde uns gereicht. Ja, diese Weihnachten waren die schlimmsten und ich wünschte mich zurück nach Polen. Dort hatten wir ja mittlerweile alles. In dieser Zeit weinte ich viel und sagte immer wieder: “Wären wir doch bloß beim Polen geblieben!” Anni Konnegen in “Ostpreußen – meine Heimat mein zuhaus”

Doch Anni und ihre Familie geben nicht auf. Nach der Trennung von den Eltern, einer schrecklichen Flucht und dem Verlust von Hab und Gut hatten sie schon einmal vor einem totalen Neuanfang gestanden und ihn gemeistert. Reichte die Kraft und würde es auch ein zweites Mal gelingen?

So musten wir nochmal von vorne anfangen! Stück für Stück wieder alles aufbauen. Ich ging dann auch hier wieder auf dem Gut von Lüneburg etwas dazuverdienen.

Ja, so schafften wir es Geld zu sparen und wurden 1969 Bauherren. Wir bauten uns in einer Neubausiedlung im Heidekamp ein schönes Haus. Im Herbst 1970 waren wir also stolze Hausbesitzer.

So also nahm alles wieder seinen Lauf. Wilfried und Marlis wurden größer, gingen zu Schule und dann schon fast in die Lehre, als sich bei uns noch etwas Kleines ankündigte. Im Mai 1971 kam unser Nesthäkchen Sabine zur Welt. Anni Konnegen in “Ostpreußen – meine Heimat mein zuhaus”

Anni Konnegen hat es immer wieder nach Tolkemit ans Frische Haff gezogen. Zahlreiche Besuche mit ihren Kindern, Verwandten und Freunden führten sie immer wieder in ihre Heimat. Ihre Fluchterinnerungen schließt Anni Konnegen mit den Worten:

Die Zeit verging und mit den Jahren hatten wir uns in Essenrode ein neues “Zuhause” erschaffen. Es gab schöne, wie auch nicht so schöne Zeiten.

Aber meine “Heimat” wird immer Ostpreußen sein. Anni Konnegen in “Ostpreußen – meine Heimat mein zuhaus”

Das Leben auf Elisenhof

Das Leben auf Elisenhof

Anfang des 20. Jahrhunderts ist das Leben auf Elisenhof geprägt von der Landwirtschaft, von der Arbeit auf den Feldern und in den Stallungen.

Gottlieb Boettcher hatte den Gutshof 1904 gekauft und stetig erweitert. Neben einem Kuhstall mit etwa 60 Milchkühen, 30 Rindern und einem Bullen gibt es Schweine, Schafe, Gänse und anderes Federvieh. Um den Hof herum liegen die zu bewirtschaftenden Felder und Wiesen. Die Leitung des Gutshofes obliegt neben dem Gutsbesitzer einem Verwalter.

Im Jahr 1944 leben und arbeiten neben Familie Boettcher zwölf weitere Familien auf Elisenhof. Den Männern sind jeweils spezielle Aufgaben zugeordnet. Es gibt einen Schweizer, zuständig für den Kuhstall und die Vieh- und Milchwirtschaft und einen Schmied in der Schmiede, in der Reparaturen durchgeführt werden. Die anderen  Arbeiter sind Gespannführer und verantwortlich für den Einsatz der Pferde auf den Äckern. Die Mechanisierung hat auf dem Gut begonnen. Neben einem Holz-Gas-Trecker wird die Handarbeit auf dem Hof unterstützt durch einen Dieselschlepper, Kartoffelroder, Grasmäher, Dresch- und Drillmaschine, Düngerstreuer und andere Geräte.

In den Kriegsjahren sind viele der Männer von Elisenhof als Soldaten im Krieg. Ihre Arbeit auf dem Hof müssen Zwangsarbeiter übernehmen. Es sind Zivil- oder Kriegsgefangene, die aus Russland, Polen oder Frankreich stammen.

Die Frauen kümmern sich um Kinder, Haushalt Garten und das eigene Vieh. Die Familien sind meist kinderreich und neben der Arbeit in der Landwirtschaft des Gutes selbstversorgend. Sie haben beispielsweise eine eigene Kuh und Gänse und auch ein kleines Stück Land zur Bewirtschaftung. Darüber hinaus erhalten die Familien neben freier Wohnungsmiete Deputat: Getreide, Kartoffeln, Milch, Briketts. Für jedes Kind bekommt eine Familie Kinderzulagen an Getreide und Milch. Der Stundenlohn beträgt 10,5 Pfennig.

Die Kinder besuchen die nahegelegene Abbauschule, eine Volksschule. Auch Kinder von den umliegenden Gutshöfen besuchen die Abbauschule, in der sie von einem Lehrer in nur einer Klasse unterrichtet werden. So sind Schülerinnen und Schüler von der ersten bis zu achten Klasse in einem Klassenraum und lernen gemeinsam. Das Gymnasium im etwas weiter entfernten Preußisch Friedland wird nur von sehr wenigen Kindern besucht.

Abbauschule 1935 mit Kindern von Elisenhof; Foto: privat

Die schulpflichtigen Kinder haben neben der Schule noch vielfältige Aufgaben zu erledigen. Zu ihren Pflichten gehört es, die Schweine oder Gänse zu hüten, auf ihre jüngeren Geschwister aufzupassen, das Wasser von der Pumpe zu holen oder im Herbst bei der Kartoffelernte zu helfen. Für diese Aufgabe werden damals eigens die Herbstferien verlängert – es sind die sogenannten “Kartoffelferien”.

Schweinehüten; Foto: privat
Kinder von Elisenhof; Foto: privat

Sonntags gibt es die sogenannte “Kinderstunde”. Alle Kinder des Gutes kommen zusammen. Es wird gespielt, gesungen, gelesen und es werden Gedichte gelernt. Zu besonderen Anlässen feiern die Familien gemeinsam. Es gibt den sogenannten “Federnball”. Die Familien kommen zusammen, rupfen die Gänse und verarbeiten die Federn zu Bettzeug. Es wird jedoch nicht nur gearbeitet, sondern auch gefeiert. Beim Erntedankfest ziehen die Elisenhofer gemeinsam mit anderen Hofgemeinschaften in einem großen Umzug durch Preußisch Friedland. Und am Heiligabend gibt es eine besondere Überraschung. Familie Boettcher lädt die Familien am Vormittag zu einer gemeinsamen Feierstunde ins Gutshaus ein.

Elisenhof von seinen Anfängen bis heute

Elisenhof von seinen Anfängen bis heute

Dem wohlhabenden Kupferschmiedemeister Johann Carl Voss, 1792 in Preußisch Friedland geboren, gehörte eines der stattlichsten Häuser am Markt in Preußisch Friedland. Zu seinem Besitz zählte er ebenso einige Gärten und Äcker in der näheren Umgebung und eine Stunde entfernt, das sogenannte Vorwerk, eine bäuerliche Besitzung, aus der sich durch die Tüchtigkeit des zweiten Sohnes Eduard der blühende Elisenhof entwickelte.

Eduard *1821 †1901 & Auguste Voss, geb. Kujath *1823 †1898 | Foto: Robert Brabander; Kanada

Als sich Eduard später auf sein Altenteil zurückzog, bezog er eine Wohnung in Preußisch Friedland und übertrug den Elisenhof seinem Sohn Otto.

Gutshaus auf Elisenhof um 1900; Foto: Robert Brabander; Kanada

Eduard Voss 1876 geborene Enkeltochter Helene Brabänder (spätere Schreibweise in Kanada „Brabander“) erinnert sich später an ihre Großeltern und den Elisenhof als „Paradies unserer Kindheit“ und schreibt:

E l i s e n h o f   war unter seiner Hand [Eduard Voss] aus einem kleinbäuerlichen Hof, dem Vorwerk mit kleinem behaglichen Wohnhause, zu einem schönen, ertragreichen Besitz von 1200 Morgen Umfang geworden.

Der waldumrauschte Niedersee in Gneven mit seinen Wildenten und Blesshühnern und den darüber kreisenden Reihern ist mir der Inbegriff der wilden und unberührten Schönheit meiner westpreußischen Heimat geblieben. Nach der Stadt Preußisch Friedland lag der Elisenhof in flachen Feldern, durchzogen von mit Brombeer und Wildrosen umbuschten Moränenwällen, so daß die „krause Len“, ein gewaltiger alleinstehender Lindenbaum, ein weithin sichtbares Wahrzeichen darstellte.

Wenn wir Kinder, von der Station Linde kommend, in der altvertäterlichen Kutsche dem Gutshof zufuhren, von „Korel“ (Karl) dem Kutscher zur Ruhe ermahnt, so steigerte sich unsere freudige Erregung in gefährlicher Weise, wenn wir von weitem das umsäumte Birkenwäldchen erspähten, in welches der Garten von Elisenhof mündete. Ein Halbkreis von stolzen Pappeln umstand die Scheunen und Stallgebäude wie eine wachsame Garde. Das Gutshaus mit seinem lindenumschatteten Giebel und dem Staketenzaun des Gemüsegartens schloß den weiten Bogen des Hofes mit einer geraden Linie ab. Nun schwenkten wir um die letzte Wegbiegung in die Ebereschenallee ein. Die windschiefen bemoosten Stämme trugen ihre gefiederten Äste mit den roten Beerdolden wie einen Festbaumschmuck. Die Tagelöhnerhäuser zur Linken wurden lebendig von starrenden Kindern, bellenden Hündchen und grüßenden Leuten, dann hielt der Wagen vor dem steinernen Vorbau des Gutshauses, und wir stürzten uns mit weiten erwartungsvollen Herzen in die Arme unserer guten, so sehr geliebten Großmutter. Nun begann die festliche Zeit.Helene Brabander, in „Familiengeschichte Voss – Brabander“, 1940

Im Jahr 1904 verkauft Otto Voss den Elisenhof an den zu einigem Wohlstand gekommenen Gottlieb Boettcher.

Helene Boettcher(*1870, geb. Papstein) und Gottlieb Boettcher (*1865); Foto: Christiane Sarreiter, geb. Boettcher

Gottlieb war außerordentlich tüchtig. Er kaufte von seinem Erbteil eines elterlichen Bauernhofes einen kleineren Hof. Den konnte er bald veräußern und mit Ersparnissen zusammen einen größeren mit einer Ziegelei erwerben. Wieder folgten gute Wirtschaftsjahre. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte er wiederum gut sparen können. Er kaufte von Otto Voss den Elisenhof. Rudi Witzke; Schwiegersohn von Lydia Horn, geb. Boettcher

Boettcher baut das Gutshaus nach seinen Vorstellungen um. Auf der Rückseite des Hauses eröffnet sich der Blick von der neu gestalteten Terrasse in den Gutspark. Bei der Auswahl der Materialien legt Boettcher Wert auf Qualität und Design. So lässt er auf der Terrasse die zu jener Zeit in Mode gekommenen Bodenfliesen von Villeroy & Boch verlegen.

Gutshaus mit Blick auf die Terrasse; Foto: privat

Die Bodenfliesen von Gut Elisenhof wurden in unserer Villeroy & Boch Mosaikfabrik in Mettlach hergestellt. Laut damaligem Katalog hatten sie die Artikelnummer 318.c „Gothisches Fondmuster graphitiert“. Produktionsbeginn dieser Fliesen war ab 1907. AGNES MÜLLER / ABTEILUNG KERAMIKMUSEUM & ARCHIV,
VILLEROY & BOCH AG

Boettcher selbst kommt 1917 ums Leben, als bei einem Gewitter die Pferde durchgehen. Zunächst übernehmen seine Frau und später sein Sohn Theophil und dessen Ehefrau Gerta die Führung des Gutes.

Gerta Boettcher (geb. Krag) und Theophil Boettcher; Foto: Christiane Sarreiter, geb. Boettcher

Die Arbeit auf den Feldern und in den Ställen wird von zwölf Landarbeiterfamilien gemeinschaftlich geleistet. Sie wohnen auf dem Gut in eigens für sie erbauten Arbeiterhäusern – der „Langen Reihe“.

Elisenhof nach 1945

Am 29. Januar 1945 wird Preußisch Friedland von der Roten Armee eingenommen. Deutsche Truppen verdrängen sie für kurze Zeit wieder aus der Stadt, bevor Preußisch Friedland und damit auch Elisenhof endgültig in ihre Hände fällt.

Die Familie des Vogts Schwanz hatte sich entschlossen, zu Hause zu bleiben, obwohl sie eine 19-jährige Tochter Gertrud, genannt Trude, hatten. Diesen Entschluss hat die Familie schwer büßen müssen, wie wir später erfahren haben.Waldemar Lück in “Flucht von Elisenhof nach Essenrode

Während die Arbeiterhäuser von den russischen Soldaten verschont bleiben, wird das Gutshaus nahezu bis auf die Grundmauern zerstört.

Bis in die 1970er Jahre hinein fristet der Elisenhof als landwirtschaftlicher Betrieb ein eher klägliches Dasein. Die Landwirtschaft wird schließlich aufgegeben. Heute leben sowohl in dem auf dem Fundament des ehemaligen Guthauses errichteten Wohnhaus als auch in den ehemaligen Arbeiterhäusern polnische Familien. Elisenhof heißt heute Gniewno und gehört zu Polen.

Flucht von Elisenhof in Pommern

Die Flucht einer Gutshofgemeinschaft

Am 29. Januar 1945 begibt sich eine Gemeinschaft – der „Elisenhof-Treck“ – aus zwölf Familien und zwei französischen Kriegsgefangenen auf die Flucht aus Pommern vor der herannahenden Roten Armee.

Flucht nach Westen 1945: Symbolbild; Fotograf unbekannt

Bereits im Dezember und verstärkt im Januar kündigen sich erste Vorboten der bevorstehenden Flucht von Elisenhof an. Flüchtlingstrecks aus Ostpreußen ziehen vorbei und manchmal übernachten sie auch auf Elisenhof. Auch wenn die täglichen Radioberichte von der Front durch propagandistische Siegesmeldungen geschönt sind, wird bald klar, dass die Front näher rückt.

Am 21. Januar 1945 erlassen die Behörden schließlich den sogenannten Packbefehl und ordnen auch für Elisenhof an, sich auf die Flucht vorzubereiten. Aus Holzstangen, Planen und Teppichen werden drei Gummiwagen mit Verdecken versehen. Da zwölf Familien auf den Wagen Platz finden müssen, kann nur das Nötigste mitgenommen werden, vor allem Lebensmittel. Neben den drei Gummiwagen wird ein Leiterwagen mit Heu und Futter für die 14 Pferde beladen. Niemand weiß, wohin die Flucht führen und wie lange sie dauern wird.

Der Tag an dem die Flucht von Elisenhof dann tatsächlich beginnt, ist der 29. Januar 1945. Der damals 7 1/2-jährige Waldemar Lück erinnert sich später an diesen Tag. In seinen Fluchterinnerungen schreibt er dazu:

Der 29. Januar 1945 war ein eiskalter Tag. Das Thermometer fiel unter minus 25 Grad. Das Donnern der Kanonen und Geschütze war schon bedrohlich nahe. In der Küche bellten und winselten unsere Hunde. Ich lag im Kinderbett neben dem Doppelbett meiner Eltern. Spät schlief ich ein und wurde durch ein Klopfen an die Fensterscheibe wach. Eine Stimme rief:  “In einer Stunde fertig sein!”Waldemar Lück in “Flucht von Elisenhof nach Essenrode”

Hofanlage mit Stallungen und einigen der zurückgelassenen Leiterwagen; Foto: privat, nach dem Krieg entstanden

Nachdem alle Familien geweckt sind, versammeln sie sich auf dem Gutshof und besteigen in einer zuvor festgelegten Verteilung die Wagen. Zwei auf dem Gut zur Arbeit eingesetzte französische Kriegsgefangene, die Brüder Bonuelle, wollen unter keinen Umständen von den Russen „befreit“ werden und schließen sich ebenfalls dem Fluchttreck an. Als Wagenlenker haben sie großen Anteil am Gelingen der Flucht.

Während der Gutsbesitzer Theophil Boettcher als Offizier im Krieg ist, übernimmt seine Frau Gerta Boettcher die Treckführung, unterstützt von Waldemar Lücks Vater Emil. Zur Orientierung im Gelände erweist sich zunächst ein Diercke-Atlas, der sich unter den Schulsachen von Waldemars Bruder Gerhard befindet, als sehr hilfreich.

In eiskalter Nacht setzt sich der Treck schließlich in westlicher Richtung in Bewegung. Gerade noch rechtzeitig erreicht der 16-jährige Kurt Nehring den schon im Aufbruch befindlichen Treck. Trotz seines jungen Alters war er dienstverpflichtet worden.

In dieser Nacht musste er [Kurt Nehring] Militärgut von Preußisch Friedland nach Linde transportieren. Kurz vor dem Ziel sagten Entgegenkommende, dass Linde bereits von der russischen Armee besetzt worden sei. Er wollte wenden, aber auf der engen Straße fuhr er in den Graben und saß im Schnee fest. Kurzentschlossen machte er sich zu Fuß auf den etwa 8 km langen Weg nach Hause. Unterwegs erfuhr er, dass das Gut Elisenhof schon im Aufbruch begriffen sei. So rannte er das letzte Stück quer über das Feld, immer in der Angst, zu spät zu kommen. Jetzt galt er als Fahnenflüchtiger und musste auf der gesamten Flucht versteckt gehalten werden.Waldemar Lück in “Flucht von Elisenhof nach Essenrode”

Eine der Familien von Elisenhof entschließt sich, nicht mit auf die Flucht zu gehen. Familie Schwanz bleibt vor allem deshalb, weil eine der Töchter im Nachbarort Rosenfelde ihren schwerkranken Mann versorgt. Ein folgenschwerer Entschluss. Als später russische Soldaten eintreffen, werden der schwerkranke Mann und Herr Schwanz sofort erschossen und die Tochter vergewaltigt.

In eiskalter sternenklarer Nacht setzt sich der Treck in Richtung Peterswalde in Bewegung. Peterswalde wird noch in der Nacht erreicht. Weiter geht es in nördlicher Richtung nach Ratzebuhr. Als der Treck gegen Mittag dort ankommt, zeigen sich schon erste Spuren bei Mensch und Tier. Die ersten Kinder haben Fieber bekommen und auch die Pferde brauchen eine Pause. Aus Angst vor Plünderern wird der Treck stets bewacht. Weiter geht es schließlich in der nächsten Nacht nach Neustettin. Der Frontverlauf und der Vorstoß der russischen Truppen macht eine Ausweichbewegung in Richtung Norden erforderlich.

DER SPIEGEL 13/2002

In der Kreisstadt Neustettin will ein hoher NS-Funktionär die Flüchtenden mit Durchhalteparolen von der weiteren Flucht abhalten. Flüchtlinge aus dem Kreis Schlochau will er wieder zurück in ihre Heimatorte schicken.

Als der Himmel in südlicher Richtung glutrot leuchtet und die Geschützfeuer deutlich zu hören sind, gibt es keinen Zweifel mehr: Ratzebuhr brennt und die Front ist ganz nah.

In einem kleinen Dorf zwischen Neustettin und Bärwalde muss den Pferden eine Verschnaufpause gegönnt werden. Die Bewohner des Dorfes sind bereits geflohen und der ganze Ort ist voller Flüchtlinge. Am Nachmittag des 2. Februars erreicht der Treck Bärwalde. Von hier führt der Weg durch schwieriges Gelände nach Zwirnitz.

Nach den Strapazen der vergangenen Tage war es wichtig, wieder Kraft zu schöpfen. Außerdem war die Front zum Stillstand gekommen. So sollten einige Tage Pause eingelegt werden. Man hofft ja immer noch, wieder in die Heimat zurückkehren zu können. Waldemar Lück in “Flucht von Elisenhof nach Essenrode”

Was zunächst niemand ahnt, der Aufenthalt in Zwirnitz dauert vom 2. Februar bis zum 1.  März. Zwischenzeitlich erkranken weitere Treckmitglieder schwer. Ein Arzt ist nicht aufzutreiben. In einer Apotheke der acht Kilometer entfernten Kleinstadt Groß Rambin scheitert der Versuch, zumindest ein paar Medikamente zu beschaffen. Immerhin bekommt man verschiedene Teesorten und ein kleines Tütchen getrockneter Blaubeeren. Schließlich beginnt es wieder zu schneien und die Temperaturen sind weiterhin eisig kalt.

Zeitungen gibt es nicht mehr und ein Radio steht nicht zur Verfügung. In einer nahegelegenen Mühle, in der auch Elektrizität erzeugt wird, gelingt es schließlich doch, ab und an Radio zu hören. Als die russische Armee bereits bei Küstrin die Oder erreicht, wird zum Aufbruch gedrängt, der aus einem besonderen Grund schwer fällt. Der Verwalter des Gutes Elisenhof ist an einer Lungenentzündung erkrankt und liegt im Krankenhaus in Groß Rambin. Man besucht den im Sterben liegenden Inspektor ein letztes Mal im Krankenhaus, der am darauffolgenden Tag verstirbt.

Erneut wird alles auf den Planwagen verstaut und die Flucht am 1. März 1945 fortgesetzt. An Bad Polzin vorbei geht es Richtung Stolzenberg. Zwischenzeitlich haben sich im Treck Kleiderläuse ausgebreitet, was das Risiko einer Typhus-Erkrankung für alle erhöht.

Am nächsten Tag geht es weiter in Richtung Oder. In Plathe ändert der Treck seine Route und zieht weiter in Richtung Norden, was sich kurze Zeit später jedoch als Fehler erweist. Der Treck kehrt wieder um und über Plathe geht es weiter nach Naugard. Das nächste Ziel, dass es über die von Pferdefuhrwerken und Flüchtlingen überfüllten Straßen zu erreichen gilt, ist Gollnow. Zur Verwunderung der Flüchtenden müssen sie immer wieder Platz machen für Militärfahrzeuge, die offensichtlich auf dem Rückzug in Richtung Westen sind.

Truppenbewegung; Foto: privat

Gegen Abend mussten alle Flüchtlingswagen in einen Wald vor Gollnow fahren, um die Straßen frei zu halten. Man sagte, es würden Panzerkolonnen kommen. Ich kann mich noch gut an jenen Abend erinnern. Geschützdonner war deutlich zu hören. Granaten zischten über die Bäume hinweg. Viele Flüchtlinge waren vom Wagen gestiegen und suchten neben den Wagen oder unter großen Bäumen Schutz.

Die deutschen Truppen zogen sich hinter die Oder zurück. Der Oderübergang bei Gollnow war nicht mehr passierbar. Waldemar Lück in “Flucht von Elisenhof nach Essenrode”

Anhand von Kartenmaterial, das man von Wehrmachtssoldaten erhalten hatte, macht sich der Treck in aller Heimlichkeit und Stille in der Nacht auf den Weg nach Norden. Dem Treck voran geht Frau Klabunde mit einer abgedunkelten Laterne durch die stockfinstere Nacht. Lautlos und nur durch Zeichen verständigt man sich. Ein gespenstischer Zug durch den dunklen Wald, bei dem kein Wort gesprochen wird und nur das dumpfe Stampfen der Pferdehufe auf dem Schneeboden zu hören ist. So geht es die ganze Nacht hindurch bis man schließlich in einem Fischerdorf ankommt.

Die Nähe der Front erzeugt im Treck Unruhe, so dass die geplante Rast für die Pferde und auch für die Menschen nur kurz ist. Der Treck setzt sich in Richtung Wollin in Bewegung. Da das Gebiet hier bereits mit vielen Panzersperren versehen ist, brauchen die Wagenlenker ihr ganzes Können und Geschick, um die Hindernisse zu umfahren. Für die 27 Kilometer lange Strecke über die Insel Wollin nach Swinemünde braucht der Treck schließlich zehn Tage. Die Straßen sind derart überfüllt, dass der Treck an manchen Tagen nur wenige Meter vorankommt.

Man musste auf den Wagen übernachten, was wegen der Enge und Kälte beschwerlich war. Ein großes Problem war die Ernährung. Lebensmittel gab es weit und breit nicht, auch kein Brot. Man musste von den Vorräten leben, die man mitgenommen hatte. Ab und zu wurde am Wegrand ein Feuer gemacht und aus geschmolzenem Schnee ein heißer Tee gekocht. Die Pferde standen Tag und Nacht im Geschirr. Waldemar Lück in “Flucht von Elisenhof nach Essenrode”

Christa auf dem Arm ihrer Mutter Hedwig Orthmann; Foto: privat

Die Strapazen der Flucht sollten aber noch weitere, weitaus größere Opfer fordern. Bei den Strapazen, der Kälte, der ungenügenden Ernährung und den unzureichenden hygienischen Verhältnissen erkranken immer mehr Menschen, vor allem die ohnehin geschwächten Kleinkinder. So erkrankt die zweijährige Christa Orthmann vermutlich an einer Lungenentzündung. Sie stirbt am 8. März in den Armen ihrer Mutter Hedwig auf dem Fluchtwagen in der Nähe des Ortes Misdroy.

Es war nicht möglich, in dem gefrorenen Boden ein Grab auszuheben. Deshalb trug es die Mutter in Begleitung einiger Mädchen in den nächstgelegenen Ort. Das war das Ostseebad Misdroy, mehrere Kilometer entfernt. Dort wurde der Leichnam den Behörden übergeben. Auf die Beerdigung zu warten war nicht möglich, weil der Treck weiterfahren musste. Man versprach aber, das Kind würdevoll zu bestatten. Waldemar Lück in “Flucht von Elisenhof nach Essenrode”

Wieder unterwegs muss der Treck vor Swinemünde tagelang auf eine Überfahrt über die Swine warten. Um den Flüchtlingsstrom zu bewältigen, war eine Pontonbrücke über die Swine gelegt worden, die jedoch defekt und nicht passierbar ist. Nun bleibt nur die Möglichkeit, mit einer Fähre ans andere Ufer zu kommen. Nach einer erneuten Nacht des Wartens setzt der Treck am nächsten Morgen über. Der gefährlichste Teil der Oderüberquerung ist geschafft.

Photo: privat
Foto: privat

Tausende von Flüchtlingen aus dem Osten – aus Ost- und Westpreußen sowie Pommern – sind in diesen Märztagen auf der Flucht und versuchen, durch eines der letzten noch offenen Nadelöhre ihre Flucht in den Westen fortzusetzen. Der Elisenhof-Treck versucht, die verstopften Straßen zu meiden und zieht weiter über die Insel Usedom vorbei an den Ostseebädern Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin. Am nächsten Abend und in der darauffolgenden Nacht wird der Himmel am Horizont von hellem Feuerschein erhellt, die Folgen des verheerenden Luftangriffes am Mittag des 12. März auf Swinemünde sind weithin zu sehen. Der Angriff gilt dem U-Boot-Flottenstützpunkt. Wie sich später jedoch herausstellen wird, sind unzählige Flüchtlinge die Leidtragenden. 4500 bis 6000 Menschen verlieren dabei ihr Leben. Einen Tag früher und auch der Elisenhof-Treck wäre wahrscheinlich unter den Opfern gewesen.

Der Treck setzt seine Flucht durch die Kleinstadt Usedom fort und quert die Peene, den dritten Mündungsarm der Oder. In Anklam sucht der Treck erstmals eine der sogenannten Flüchtlingsleitstellen auf. Hier gibt es für den Treck neben dem nächsten Fahrziel auch eine warme Suppe.

Die Aufgabe der Flüchtlingsleitstellen in diesen letzten chaotischen Kriegstagen besteht darin, den verschiedenen Trecks Fahrziele zu geben, damit einzelne Straßen nicht überlastet werden und die vielen Flüchtlinge schließlich auf viele Orte verteilt werden können. Von nun an wird der Treck von Leitstelle zu Leitstelle weitergeleitet.

Über Friedland führt der Weg weiter nach Neubrandenburg. Und auch hier zeigt sich erneut die zerstörerische Unerbittlichkeit des Krieges und der sich daraus auch für die Elisenhof-Gemeinschaft ergebenden Folgen. Waldemar Lück schildert die Ereignisse jenes Tages bei Friedland.

Frau Seringhaus hatte zehn Kinder. Ihr Mann und der älteste Sohn waren beim Militär, der Zweitälteste beim Reichsarbeitsdienst. Sie war hochschwanger und musste mit acht minderjährigen Kindern auf die Flucht gehen. In der Nähe von Friedland setzten die Wehen ein. So wurde auf dem Fluchtwagen ihr elftes Kind geboren. Sie musste ärztlich versorgt werden. Sie blieb mit ihren Kindern in einem Dorf. All ihr Hab und Gut ließ sie auf dem Wagen zurück, weil sie gleich nachkommen wollte. Das war eine völlig unrealistische Vorstellung, denn zu diesem Zeitpunkt wusste niemand, wohin es gehen würde. Später erfuhren wir, dass die Familie in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Friedland aufgenommen wurde. Dieses Lager wurde bombardiert. So ist wohl die ganze Familie umgekommen. Waldemar Lück in “Flucht von Elisenhof nach Essenrode”

Als sei nicht alles ohnehin schon schrecklich genug, muss der Treck seine Flucht inmitten dieser menschlichen Tragödie fortsetzen.

Der Weg führt über Neubrandenburg nach Waren an der Müritz. Zwischenzeitlich ist es wärmer geworden und das erste zarte Grün der Wiesen und Wälder zeigt sich. Übernachtet wird meist auf Bauernhöfen in einem Strohlager in Scheunen oder Ställen. Der Mangel an Pferdefutter lässt die Tiere mehr und mehr abmagern. Einige von ihnen überleben diese Strapazen nicht. Und so ist es immer wieder sehr traurig, wenn eines der Tiere, das in diesen schweren Wochen zum treuen Begleiter geworden ist, sich nicht mehr erheben kann und völlig entkräftet zurückgelassen werden muss.

In diesen Märztagen des Jahres 1945 dauert die Flucht, die am 29. Januar begonnen hatte, nun schon einige Wochen an und hat ihre Opfer gefordert. Zu Ende ist die Flucht jedoch noch immer nicht. Der Weg führt den Treck durch Mecklenburg und die Städte Malchow, Plau am See, Parchim und Ludwiglust.

In einem Wald hinter Ludwiglust gibt es dann erneut Fliegeralarm. Die Wagen verstecken sich so gut es geht unter hohen Bäumen. Alle verlassen die Wagen und laufen zum Schutz in den Wald hinein. Die Angst vor den Tieffliegern ist groß. Danach steht eine weitere gefährliche Herausforderung bevor: Die Überquerung der Elbe bei Dömitz.

Die Angst war groß, von den Tieffliegern auf der langen Brücke beschossen zu werden. Deshalb durfte niemand außer den Wagenlenkern bei der Fahrt über die Brücke auf den Wagen bleiben. Meine Schwester Magdalene holte alle jüngeren Kinder an der Uferböschung zusammen. Wir warteten bis die Wagen und die Erwachsenen die Brücke ohne Zwischenfälle überquert hatten. Als alles ruhig blieb, gingen wir dann auch über die Brücke. Einige Tage später wurde die Brücke bei einem Luftangriff zerstört. Waldemar Lück in “Flucht von Elisenhof nach Essenrode”

Der Treck ist nun seit fast zwei Monaten auf der Flucht. Weiter führt der Weg von Flüchtlingsleitstelle zu Flüchtlingsleitstelle in Richtung Süden durch das Wendland über Dannenberg, Lüchow bis nach Uelzen. Während der Weg von Uelzen über Bodenteich nach Wittingen führt, erfährt der Treck, dass man eine vorläufige Bleibe im Landkreis Gifhorn finden soll. Aber auch in Wittingen wird der Treck weitergeschickt. Das Dorf Grassel wird nun als Zielort genannt. Die Gemeinschaft des Elisenhof-Trecks übernachtet ein letztes Mal gemeinsam in einer Gaststätte in Kästorf in der Nähe des Volkswagenwerkes.

Ich kann mich erinnern, dass wir kurz vor dem Ziel noch ein entkräftetes Pferd zurück lassen mussten. Über Warmenau und Sandkamp kamen wir nach Fallersleben.

Es war der 28. März, ein schöner Frühlingstag. Gegen Abend kamen wir durch Essenrode, dem letzten Dorf vor unserem Bestimmungsort Grassel. Waldemar Lück in “Flucht von Elisenhof nach Essenrode”

Der Treck nähert sich seinem Ziel Grassel, aber es gibt eine Planänderung. Der Bürgermeister und der Ortsgruppenleiter von Essenrode stoppen den Treck. Sie erzählen der Elisenhof Gemeinschaft, dass Grassel bereits überfüllt ist. Ihr neues Ziel ist Essenrode.

Fluchtroute des Elisenhof-Trecks vom 29. Januar bis 28. März 1945: Elisenhof (Gniewno ) – Peterswalde (Cierznie) – Landeck (Lędyczek) – Ratzebuhr (Gmina Okonek) – Neustettin (Szczecinek) – Bärwalde (Barwice) – Zwirnitz (Świerznica ) – an Bad Polzin vorbei nach Stolzenberg (Sławoborze) – Plathe (Płoty) – Greifenberg (Gryfice) – wieder zurück nach Plathe (Płoty) – weiter nach Naugard (Nowogard) – Gollnow (Goleniów) – Wollin (Wolin) – Swinemünde (Świnoujście)– Überfahrt über die Swine – weiter über Usedom – Kleinstadt Usedom – über die Peene nach Anklam – Boldekow – Friedland – Neubrandenburg - Waren an der Müritz – Malchow – Plau am See – Parchim - Ludwigslust – Dannenberg – Lüchow – Uelzen – Bad Bodenteich – Wittingen – Kästorf bei Wolfsburg – Fallersleben – Sülfeld – Wettmershagen – Essenrode

Am 28. März 1945 endet die Flucht vom Elisenhof, die am 29. Januar begann, nun in Essenrode. Die Familien vom Elisenhof werden auf die Familien des Ortes verteilt. Die Verteilung läuft nicht ohne Protest der aufnehmenden Familien, da der Ort zu diesem Zeitpunkt schon fast so viele Flüchtlinge wie Einwohner aufgenommen hat. Schließlich bekommen aber alle ein Dach über dem Kopf.

Während die Flucht vom Elisenhof zu Ende ist, dauert der Krieg immer noch an. Selbst die älteren Männer, die im Elisenhof-Treck angekommen sind, werden noch zum Volkssturm eingezogen und sollen den Militärflugplatz in Wesendorf verteidigen. Sie werden in einer Kaserne untergebracht und in der darauf folgenden Nacht wird der Flugplatz bombardiert und völlig zerstört. Während sich die amerikanischen Truppen nähern, machen sich die Männer in der dunklen Nacht, die immer wieder durch Bombenexplosionen erhellt wird, zu Fuß auf den Rückweg nach Essenrode.

Den für ihn letzten Kriegstag und die Erlebnisse der „alten Männer“ von Elisenhof wird Waldemar Lück später so beschreiben:

Da sie alle dienstverpflichtet waren, machten sie sich am Montag wieder auf den Weg nach Wesendorf. Dort trafen sie auf einen Offizier. “Was macht ihr denn hier?” sagte er. “Hier gibt es nichts mehr zu schützen. Die Amerikaner stehen schon vor der Tür. Kehrt um und geht nach Hause.”

Von Allenbüttel aus gingen sie auf Feldwegen und über die Wiesen. Vom Tal aus sahen sie, dass amerikanische Panzer schon vor dem Dorf hielten. Immer Deckung suchend, um nicht zu guter Letzt noch in Gefangenschaft zu geraten, gingen sie ins Dorf und kamen dort völlig entkräftet am Vormittag an.

An diesem Tag kamen die Amerikaner ins Dorf. Für uns war der Krieg zu Ende. Waldemar Lück in “Flucht von Elisenhof nach Essenrode”

Am 11. April 1945 endet mit dem Einzug der amerikanischen Soldaten in Essenrode der Krieg.

Einen Monat später endet mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht der Zweite Weltkrieg in Europa. Der verbrecherische Angriffskrieg Nazi-Deutschlands und die Gräueltaten im Namen der nationalsozialistischen Ideologie haben damit ein Ende.

Die Folgen des Krieges und das Erlebte werden viele Menschen ihr Leben lang begleiten – auch jene aus der Elisenhof-Gemeinschaft. Einiges davon kann verarbeitet werden, anderes wirkt weiter, auch über die Generationen hinaus.

Dank

Wir danken Waldemar Lück und allen anderen, die dazu beigetragen haben, die Erlebnisse der Elisenhof-Gemeinschaft für uns als nachfolgende Generationen erfahrbar zu machen. Es gibt uns die Möglichkeit, ihnen und dem was sie uns zu sagen haben, aufrichtig zuzuhören, und das Erlebte miteinander zu teilen – für eine bessere Zukunft.

Zuflucht – Zuversicht – Zukunft

“Das Erinnern bringt Erlösung […] und das Vergessen das Exil.”
Rabbi Israel ben Elieser, genannt Baal Schem Tov

ZUFLUCHT - ZUVERSICHT - ZUKUNFT

Über zwölf Millionen deutsche Flüchtlinge und Vertriebene müssen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine neue Heimat finden.

Mit dem Vorrücken der Roten Armee zu Ende des Krieges werden nicht nur die deutschen Soldaten zurückgedrängt. Auch die Zivilbevölkerung ist gezwungen, ihre Wohnorte in den „Ostgebieten des Reichs“ zu verlassen und sich auf die Flucht zu begeben. Alliierte Truppen beenden schließlich die im Namen der nationalsozialistischen Ideologie verübten Verbrechen und den von ihr ausgegangen Zweiten Weltkrieg.

Die Flüchtenden suchen Zuflucht

In den kleinen niedersächsischen Ort Essenrode kommen mit Ende des Krieges Flüchtlinge und Vertriebene aus Pommern, West- und Ostpreußen, Schlesien, dem Sudeten- und Wartheland, dem Baltikum, Bessarabien, Galizien und anderen Regionen der ehemaligen Ostgebiete. In den Folgejahren fliehen dann auch Menschen aus dem sowjetisch besetzen Teil Deutschlands und später der DDR nach Essenrode. Die Einwohnerzahl des Ortes verdoppelt sich nahezu.

Nach dem Krieg stellt sich Zuversicht ein

Es gibt ein Dach über dem Kopf, wieder zu essen und nach und nach auch Arbeit. Familien, die durch Krieg getrennt wurden, finden wieder zueinander. Neue Familien werden gegründet, Häuser gebaut und ein neues Leben beginnt.

Die Zukunft kann kommen

Auf diesen Seiten werden Einzelschicksale nachgezeichnet, Nachkriegsbiographien vorgestellt und persönliche Erfahrungen geschildert – Geschichten von Zuflucht und Zuversicht und Zukunft.

Ein Blick auf Vergangenes und die Integration von Vergangenheit ermöglichen es, unbelastet und frei die Zukunft zu gestalten. Die auf diesen Seiten zusammen-gestellten Schicksale von Flucht und Vertreibung, die dazugehörige Ausstellung und der Dokumentarfilm möchten dazu einen Beitrag leisten und einladen, sich dafür zu öffnen.

Dank

Unser besonderer Dank gilt all den Menschen, die uns als Zeitzeugen ihr Erleben anvertraut haben und allen anderen, die dazu beigetragen haben, die Erlebnisse für nachfolgende Generationen erfahrbar zu machen. Sie geben uns die Möglichkeit, ihnen und dem was sie uns zu sagen haben, aufrichtig zuzuhören, und das Erlebte miteinander zu teilen – für eine bessere Zukunft.

Unser Dank für die finanzielle Unterstützung des Projektes “Zuflucht – Zuversicht – Zukunft | 75 Jahre danach” geht an die Braunschweigische Sparkassenstiftung, die Gahnz Stiftung, die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz sowie an den Bürgerverein Essenrode e.V. und den Ortsrat Essenrode.