Über uns und das Projekt

Über uns und das Projekt

Dr.-Ing. SABINE C. LANGER
forscht und lehrt an der Technischen Universität Braunschweig als Professorin für Akustik in den Bereichen Modellierung, Technologiebewertung und Innovations-fähigkeit.
Sie begleitet Menschen innerhalb und außerhalb des universitären Kontextes bei ihrer Entwicklung und der Entfaltung persönlicher und kollektiver Potentiale. Gemeinsam mit Roland Remus initiierte sie 2019 das Projekt ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT, das beide seitdem kontinuierlich weiterentwickeln.

ROLAND REMUS
war fast vier Jahrzehnte als Kriminalbeamter in unterschiedlichen Funktionen konfrontiert mit vielfältigen Traumatisierungen. Sein Interesse gilt der transgenerationalen und kollektiven Traumarbeit und der Frage, wie sehr unsere Vergangenheit unsere Gegenwart und Zukunft beeinflusst.
Heilpraktiker für Psychotherapie, Fortbildungen in Systemischer Familienaufstellung und Familientherapie, Fortbildungen an der Academy of Inner Science, Collective Trauma Facilitator Training. Seit 2004 eigenes Seminar- und Beratungsangebot.

Das Projekt ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT und der gleichnamige Dokumentarfilm wurden 2023 in das Zeitzeugenarchiv des Berliner Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöhnung aufgenommen.

Die Frage nach den Anfängen von ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT  lässt sich nur schwer beantworten. Lange interessierten wir uns schon für die Zusammenhänge innerhalb von Familien und deren Wechselwirkungen, als wir 2012 begannen, uns mit dem Entstehen und den Folgen individueller Traumatisierungen zu beschäftigen. 2017 kam dann der Aspekt des kollektiven Traumas hinzu, während wir ein einjähriges internationales Training absolvierten, 

© Roland Remus

das mit einem einwöchigen Workshop in Israel begann. Die Non-Profit-Organisation „The Pocket Project“ hatte das Training organisiert, in dem wir uns gemeinsam mit 151 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 39 Ländern mit transgenerationaler und kollektiver Traumarbeit beschäftigten.

Für uns haben die tiefen Begegnungen und berührenden Erlebnisse während dieser Woche in Israel entscheidend zum Entstehen des Projekts beigetragen. Teil des Jahrestrainings war auch die Einladung an die Teilnehmenden, in ihren Herkunftsländern eigene Projekte zur Aufarbeitung und Integration kollektiver Traumata ins Leben zu rufen. 

Nach unserer Rückkehr aus Israel reifte in uns sehr schnell die Erkenntnis, dass eine Beschäftigung oder gar Aufarbeitung kollektiver Traumatisierungen kaum möglich ist, ohne sich zuvor den potentiellen eigenen, individuellen Traumatisierungen zuzuwenden.
Diesen neuen, geschärften Fokus im Blick, stellten wir uns zunächst die Frage, ob es Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auch in uns gibt und falls ja, in welchem Maße sie vielleicht unser eigenes Leben mit beeinflusst haben. Da wir in den 1960er und 1970er Jahren geboren wurden, haben wir den Krieg nicht selbst erlebt. Unser Ansatz war es daher, zu untersuchen, was unsere Eltern als sogenannte „Kriegskinder“ erlebt haben und ob und wie deren Erfahrungen möglicherweise transgenerational an uns weitergegeben wurden.

Ausgehend von dieser Fragestellung beschäftigten wir uns zunächst mit unseren eigenen Familiengeschichten. Wir suchten all die Orte auf, die in unseren Familien eine besondere Bedeutung hatten. Orte, von denen unsere Eltern und Großeltern am Ende des Zweiten Weltkrieges fliehen mussten und Orte, aus denen sie vertrieben wurden. Den Ort, an dem mein (Roland Remus) Großvater erschossen wurde und den Ort, aus dem meine Mutter als 16-Jährige aus der DDR in den Westen floh.

Als ich (Roland Remus) auf dem Boden des Gutshofes in Pommern stand, von dem mein Vater als 14-Jähriger in der Nacht des 29. Januars 1945 von der einen auf die andere Minute fliehen musste, konnte ich körperlich und emotional fühlen, was es für ihn bedeutet haben muss, fliehen zu müssen und entwurzelt zu werden.

Die Reisen an die Orte unserer Großeltern und Eltern, die wir auch zum Teil gemeinsam mit unseren Eltern und Kindern machten, führten schließlich dazu, dass wir unser Erleben, das für uns eine oft tief berührende und auch befreiende Wirkung hatte, mit anderen Familienmitgliedern teilen wollten. Wir erweiterten also den Radius von der individuellen Ebene und der der Kernfamilie auf die erweiterte Familie. Bei einem Familienfest 2017 mit vier Generationen teilten wir unser Erleben und tauchten über die Generationen hinweg gemeinsam in die Geschichte der Familie ein.

Nachdem wir uns intensiv unserer individuellen Ebene und den Familienhintergründen von Flucht und Vertreibung gewidmet hatten, erweiterte sich der Radius des Projektes: Vom Individuellen und der eigenen Kernfamilie hin zur erweiterten Familie und dem Transgenerationalen.

Anfang 2019 tauchte dann der nächste Erweiterungsschritt auf.  Wir wendeten uns dem Kollektiven in dem Dorf zu, in das die Familie von Roland Remus am Ende des Zweiten Weltkrieges geflüchtet war. Aus den einzelnen Prozessschritten formte sich nun ein Projekt, dem wir den Namen ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT gaben.

Flüchtlingstreck [Symbolbild]

Das Projekt ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT widmet sich dem Thema Flucht und Vertreibung am Ende des Zweiten Weltkrieges. Es werden Schicksale von Menschen und Familien nachgezeichnet, die als Flüchtlinge und Vertriebene am Ende des Zweiten Weltkrieges in dem kleinen niedersächsischen Dorf Essenrode ihre Zuflucht, Zuversicht und  Zukunft fanden.  Durch die Aufnahme von Geflüchteten und Vertriebenen verdoppelte das Dorf 1945 seine Einwohnerzahl nahezu.

Aus der Anonymität der Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen erhalten ihre Schicksale ein Gesicht, bekommen einen Namen und werden ins kollektive Gedächtnis gerufen. Das bewusste Erinnern schafft zudem die Möglichkeit, nicht mit der Vergangenheit verhaftet zu bleiben, sondern dass das traumatische Erleben integriert werden kann. Dabei steht nicht nur das eigene Erleben der Betroffenen im Fokus, sondern auch der transgenerationale Aspekt, die Auswirkungen auf nachfolgende Generationen, und die sozialen Auswirkungen auf die dörfliche Gemeinschaft.

Ausblick 2024

In einem zweiten Dokumentarfilm greifen wir den Aspekt der transgenerationalen Weitergabe von Trauma auf, also den Aspekt, dass ungelöste Traumata von einer Generation auf die nächste übertragen werden können. Im Film wird es um den Perspektivwechsel von den Kriegskindern (der sog. Erlebnisgeneration) zu deren Kindern gehen. Es geht also um die Generation (Kriegsenkel-Generation), die Krieg, Flucht und Vertreibung nicht persönlich erlebt hat, aber in Familien aufgewachsen ist, in denen die Kriegstraumatisierung in vielen Fällen bewusst oder unbewusst sehr prägend für sie war. Der Film soll u.a. zeigen, wie das Erlebte von Eltern und Großeltern das eigene Leben mitbestimmt hat und soll die Symptome aufzeigen, die die nachfolgenden Generationen vielleicht bis heute spüren und die ihr Leben beeinflussen. Es sollen aber auch Ressourcen und möglich Wege aufgezeigt werden, transgenerationales Trauma zu bearbeiten und zu lösen. 

Dafür werden Menschen aus dieser Generation interviewt und es wird gezeigt, wie sie das Thema individuell bearbeitet haben (z.B. eine Künstlerin, die mit zwei Stelen die Geschichte ihrer Großväter bearbeitet hat, dem polnischen Großvater, der im KZ starb, und ihrem deutschen Großvater, der als Wehrmachtssoldat am D-Day kämpfte; ein Musiker, der ein Stück komponiert hat, um die Geschichte seines Großvaters und

© Roland Remus

seine Verbindung zu ihm zu verarbeiten, eine Schauspielerin, die ein Theaterstück über die Geschichte ihres Großvaters geschrieben hat, der im Dritten Reich Waffen entwickelt hat; eine Fotografin, die die Geschichte ihres Großvaters und ihre Kindheit in Kurzfilmen und Doppelbelichtungen (Fotos ihres Großvater und Fotos ihrer Kindheit übereinandergelegt) bearbeitet hat; uvm.). Mit den Protagonist*innen sollen auch die Orte aufgesucht werden, von denen ihre Eltern oder Großeltern flüchten mussten oder vertrieben wurden. Darüber hinaus sollen aber auch Experten aus unterschiedlichen Disziplinen zu Wort kommen, z.B. Historiker*innen und Traumaexpert*innen.

AKTUELLES

AKTUELLES

im November 2023

ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT

Filmabend

Die Kichengemeinde St. Thomas in Wolfenbüttel lädt ein zum Filmabend:
Freitag, 17. November 2023
Beginn: 18:30 Uhr
Ort: St. Thomas Wolfenbüttel, Jahnstraße 1, 38302 Wolfenbüttel.
Im Anschluss besteht die Möglichkeit zum Austausch mit den Filmemacher:innen.

AKTUELLES

im Juli 2023

NDR Fernsehen

In einem kurzen Beitrag berichtete das NDR Fernsehen am 9. Juli 2023 in der Sendung HALLO NIEDERSACHSEN über das Projekt in Essenrode. Zum Beitrag “Essenrode: Das Dorf der Vertriebenen” geht`s hier.

AKTUELLES

im Juni 2023

Polnische Untertitel

Der Film ZUKUNFT – ZUFLUCHT – ZUVERSICHT ist nun neben englischen und deutschen Untertiteln auch mit polnischen Untertiteln zu sehen.

zum Film

AKTUELLES

im April 2023

Filmnachmittag

Seniorenpflegeheim St.Thomaehof

Auf Einladung des Seniorenpflegeheims der Stiftung St. Thomaehof Braunschweig wurde der Film ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT erstmals in einem Seniorenpflegeheim gezeigt. Der Filmnachmittag mit anschließender Gesprächsrunde waren zustande gekommen, weil eine der Zeitzeuginnen aus dem Film inzwischen in dem Seniorenpflegeheim lebt und Tamara Schwab, Altenpflegerin im Seniorenheim, auf den Film aufmerksam wurde und die Veranstaltung organisierte.
Mehr als 30 Besucher:innen sahen den Film und ein Großteil von ihnen nahm an der anschließenden Gesprächsrunde teil. Das Interesse am Austausch bei den Senior:innen war groß, zumal alle von ihnen ein eigenes Erleben mit Krieg, Flucht oder Vertreibung hatten. Einige von ihnen hatten als Kinder die Bombardierung Braunschweigs 1944 miterlebt und andere die Flucht oder Vertreibung. Einige der Senior:innen wurden an diesem Nachmittag von ihren Töchtern und Söhnen begleitet, die zum Teil Neues von ihren Eltern erfuhren, von dem sie bislang nichts wussten.

Begrüßung durch die Filmemacher Sabine C. LANGER, Roland REMUS, Thomas KNÜPPEL
Während der Filmvorführung
Zeitzeuginnen: Anni KONNEGEN, Dorchen REMUS, Irmchen REMUS
Austausch in großer Runde
Bewohner teilen ihre eigenen Erfahrungen
...aufmerksames Zuhören
...Erlebtes wird geteilt
...die Gesprächsrunde
Freude am gemeinsamen Austausch
Fluchterfahrungen werden ausgetauscht
Generationenübergreifender Austausch
Info-Bildschirm im Seniorenheim nach der Veranstaltung
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Fotos ©: Thomas Knüppel

AKTUELLES

im März 2023

POCKET PROJECT

Kostenfreier Online Call

Mo., 3. April 2023
20:00 – 21:30 Uhr

Zur Anmeldung gelangen Sie hier:
Anmeldung

Nach Ihrer Anmeldung erhalten Sie die  Zugangsdaten, um per Zoom an der Veranstaltung teilnehmen zu können.

Wir bitten alle Teilnehmenden, sich den Dokumentarfilm im Vorfeld der Veranstaltung anzuschauen:
Zum Film:
ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT

Das POCKET PROJECT widmet sich gemeinsam mit Sabine Langer & Roland Remus an diesem Abend dem Thema Flucht, Vertreibung und Umsiedlung in der deutschen Geschichte. Sabine & Roland werden von ihrem Projekt „Zuflucht-Zuversicht-Zukunft”, und vor allem dem daraus entstandenen Dokumentarfilm „Zuflucht-Zuversicht-Zukunft | Essenrode – 12 Kriegskinder erzählen” berichten und sie werden ihre persönlichen Erfahrungen mit uns teilen.
In einer Fluchtroutenkarte werden während des Calls auch die Flucht- und Vertreibungsrouten der Teilnehmenden dargestellt. Nach der Anmeldung zur Veranstaltung erhält man die Möglichkeit, seine eigene Flucht- oder Vertreibungsroute oder die seiner Eltern/Großeltern anonymisiert mitzuteilen. In einer Karte werden dann all diese Daten visualisiert und während des Calls gezeigt. Die Teilnehmenden erhalten in dem Call auch die Möglichkeit, sich mit Fragen oder Anmerkungen aktiv zu beteiligen.

AKTUELLES

im Januar 2023

AKTUELLES

im Oktober 2022

Berliner Dokumentationszentrum
zeigt den Film

ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT

ESSENRODE - 12 KRIEGSKINDER ERZÄHLEN

Das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung
© Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, Foto: Markus Gröteke

SAVE THE DATE
12. Januar 2023

Film und Podiumsgespräch:
Do., 12. Januar 2023 | 19 – 21 Uhr
Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung
Stresemannstraße 90, 10963 Berlin,
und im Livestream.

Wir freuen uns sehr auf den 12. Januar 2023!

In einer Abendveranstaltung wird das Dokumen-tationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung unseren Film “ZUFLUCHT-ZUVERSICHT- ZUKUNFT” zeigen.

Im Anschluss daran wird Dr. Nils Köhler (Bereichsleiter Dokumentation & Forschung) ein Podiumsgespräch mit Prof. Dr.-Ing. Sabine C. Langer und Roland Remus (beide: Projektidee u. Redaktion) sowie dem Filmemacher Thomas Knüppel moderieren.
Angesichts der unklaren Pandemiesituation wird die Veranstaltung über den Saal hinaus per Livestream übertragen.

Am 12. Januar 2023 werden wir darüber hinaus auch unser Projekt “ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT” an das im Jahr 2021 durch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnete Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung übergeben. In Gesprächen mit Dr. Köhler war bereits vereinbart worden, das gesamte Projekt dem Dokumentationszentrum zu übergeben.
Das Projekt und damit auch die recherchierten Flucht- und Vertreibungsgeschichten, werden so einen angemessenen Platz im kollektiven Gedächtnis im Berliner Dokumentationszentrum bekommen und bewahrt werden können. Nachfolgenden Generationen wird damit der Zugang zu den Projektergebnissen ebenso möglich sein, wie der wissenschaftlichen Forschung. Wir freuen uns sehr darüber!

AKTUELLES

im Februar 2022

BRAUNSCHWEIG: Fortsetzung der Gespräche

von links: Thomas Knüppel, Anke Heverhagen, Dr. Nils Köhler, Lisa Quade, Dr.-Ing. Sabine C. Langer, Roland Remus; Foto: Thomas Knüppel

Am 5. Nov. des vergangenen Jahres hatte das Projektteam den Dokumentarfilm ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT an Dr. Nils Köhler (Bereichsleiter Dokumentation & Forschung) im Berliner Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung übergeben. Anlässlich dieser Übergabe wurden auch Möglichkeiten erörtert, wie die Projektergebnisse einen Platz im Dokumentationszentrum finden könnten.

Am 31. Jan. 2022 wurden diese Möglichkeiten nun bei einem Besuch von Dr. Köhler und Lisa Quade (beide Dokumentationszentrum) in Braunschweig weiter konkretisiert. In einer kurzen Präsentation gab das Braunschweiger Projektteam seinen Gästen zu Beginn einen Überblick vom Start des Projektes in 2017 bis heute. Bei einer anschließenden Führung durch die aufgebaute Ausstellung konnten sich Frau Quade und Dr. Köhler vor Ort einen Eindruck vom Umfang der Ausstellung und den vorhandenen Exponaten verschaffen. Beide zeigten sich beeindruckt von dem Projekt und sagten zu, das gesamte Projekt in das Archiv des Dokumentationszentrums zu übernehmen. 

Das Braunschweiger Projektteam freut sich sehr über diese Entscheidung, da die recherchierten Flucht- und Vertreibungsgeschichten dadurch einen angemessenen Platz im kollektiven Gedächtnis im Berliner Dokumentationszentrum bekommen und bewahrt werden können. Nachfolgenden Generationen wird damit der Zugang zu den Projektergebnissen ebenso möglich sein, wie der wissenschaftlichen Forschung.

Zum Dokumentationszentrum

AKTUELLES

im November 2021

BERLIN: Übergabe des Dokumentarfilms ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT

von links: Dr. Nils Köhler, Roland Remus, Thomas Knüppel, Anke Heverhagen, Dr.-Ing. Sabine C. Langer; Foto: Thomas Knüppel

Am 5. Nov. 2021 besuchten Thomas Knüppel (Filmemacher), Anke Heverhagen (Produktionsassistenz), Dr.-Ing. Sabine C. Langer (Projektidee u. Redaktion) und Roland Remus (Projektidee u. Redaktion) das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin. Dort trafen sie Dr. Nils Köhler, den Bereichsleiter Dokumentation & Forschung. Dr. Köhler hatte angeboten, den Film in das Dokumentationszentrum aufzunehmen.

In sehr wertschätzender Atmosphäre tauschte sich die Gruppe über das Dokumentationszentrum als Lern- und Erinnerungsort und über das Projekt ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT aus, in dessen Rahmen der Film entstanden ist. Weitere Möglichkeiten, wie der Film, aber auch die Erkenntnisse des Projektes einen Platz im Berliner Dokumentationszentrum finden könnten, wurden diskutiert. Beide Seiten vereinbarten im Austausch darüber zu bleiben.

Im Anschluss überreichte das Projektteam den Film an Dr. Nils Köhler. Für das Projektteam war dies ein besonderer und emotionaler Moment, zumal der Film und damit die Erlebnisse der Zeitzeugen*innen einen Platz am zentralen Gedenkort in Deutschland für Flucht, Vertreibung und Umsiedlung gefunden haben.

Zum Dokumentationszentrum

AKTUELLES

im August und September 2021

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Impressionen von der Wiedereröffnung der Ausstellung

Fotos: Thomas Knüppel

AUSSTELLUNG

WIEDERERÖFFNUNG  28. Aug. – 5. Sept. 2021

Fotos, Videos und Exponate dokumentieren die Erlebnisse von Flucht und Vertreibung Essenroder Frauen und Männer.

FILMABEND

FILMABEND in ESSENRODE  3. Sept. 2021

Der Bürgerverein Essenrode e.V. zeigt den Dokumentarfilm in der Reithalle auf dem Gut Essenrode.

DORFRUNDGANG

DORFRUNDGANG MIT ZEITZEUGEN 4.9.2021

Zeitzeugen führen an die für die ankommenden Flüchtlinge bedeutsamen Plätze und schildern dabei die Perspektive Ankommender und Aufnehmender.

DOKUMENTARFILM

DOKUMENTARFILM

Dem Filmemacher Thomas Knüppel ist es auf sehr einfühlsame Art und Weise gelungen, aus zwölf Einzelinterviews die berührende Dokumentation ZUFLUCHT – ZUVERSICHT – ZUKUNFT zu schaffen.

Veranstaltungs-Flyer

Alle Infos und Termine zu den Veranstaltungen finden Sie in diesem Flyer als pdf. zum Download.

Ausstellung

Fotoausstellung (1945 - 2020) und "Erzähl-Café"

Am 13. März 2020 eröffnete im Rahmen des Projektes “Zuflucht – Zuversicht – Zukunft” eine Ausstellung. Fotos, Videos und Exponate dokumentieren die Erlebnisse von Flucht und Vertreibung Essenroder Frauen und Männer. In einem in die Ausstellung integrierten “Erzähl-Café” haben Besucherinnen und Besucher nach dem Rundgang die Möglichkeit zum Austausch und zum Erzählen der eigenen Geschichte.

Aufgrund der Corona Pandemie musste die Ausstellung bereits nach dem Eröffnungstag ihre Türen wieder schließen. Die Ausstellung wird zu einem späteren Zeitpunkt erneut gezeigt. Bis dahin haben Sie auf diesen Seiten nun die Möglichkeit, virtuell die Ausstellung zu besuchen.

Virtueller Rundgang durch die Ausstellung

Impressionen der Ausstellung

Fotos: Thomas Knüppel & privat

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Pressestimmen

Filme

DOKUMENTARFILM

ZUM FILM
Dem Filmemacher Thomas Knüppel ist es auf sehr einfühlsame Art und Weise gelungen, aus zwölf Einzelinterviews die berührende Dokumentation  ZUFLUCHT – ZUVERSICHT – ZUKUNFT zu schaffen.
Ein Film, in dem Zuschauer die Zeitzeug*innen begleiten dürfen in die Zeit und an die Orte des persönlichen Erlebens von Flucht und Vertreibung.

Die heimatlos Gewordenen fanden Zuflucht in dem niedersächsischen Dorf Essenrode. Dort leben die meisten von ihnen und ihre Familien noch heute. Das Jahr 1945 hat  den Ort Essenrode – wie unzählige andere Orte –   in besonderer Weise geprägt. In das Dorf kamen mit Ende des Krieges Flüchtlinge und Vertriebene, aus Pommern, West- und Ostpreußen, Schlesien, dem Sudeten- und Wartheland, dem Baltikum. Bessarabien, Galizien und anderen Regionen der ehemaligen Ostgebiete. In den Folgejahren flohen dann auch Menschen aus dem sowjetisch besetzten Teil Deutschlands und später aus der DDR nach Essenrode.

GENERATION KRIEGSKINDER
Die Zeitzeug*innen lassen uns an ihren Herausforderungen, aber insbesondere auch daran teilhaben, wie es ihnen gelungen ist, mit ZUVERSICHT ihre eigene ZUKUNFT und die des Dorfes in die Hand zu nehmen.
Die Idee zum Projekt und dem Film hatten Sabine C. Langer und Roland Remus. In der Dokumentation beleuchten sie aus der Perspektive der sogenannten KRIEGSENKEL-GENERATION transgenerationale Aspekte sowie die Bedeutung des sich Erinnerns. Roland Remus wurde in Essenrode geboren und wuchs dort auf. Thomas Knüppel:
https://thomas-knueppel.allyou.net/36…

Flucht einer Gutshof-Gemeinschaft​

Zeitzeugen berichten über die zwei Monate andauernde Flucht der “Elisenhof-Gemeinschaft” von Preußisch Friedland in Pommern bis nach Essenrode in Niedersachsen.  Der Film “Zuflucht – Zuversicht – Zukunft” zeigt, wie die Menschen ihre Flucht von Januar bis März 1945 erlebten, was zur selben Zeit in Essenrode geschah und ob es möglich war, in Essenrode einen Neuanfang zu finden?
Dauer: 17:15 Min.

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Zeitzeugen im Gespräch

Hier finden Sie Auszüge aus Zeitzeugeninterviews von “Kriegskindern”, die ihre Erlebnisse von Flucht und Vertreibung beschreiben. Ebenso kommen Menschen zu Wort, die als Kinder die NS-Ideologie in Essenrode zu spüren bekamen. Zeitzeugenberichte über Zuflucht, Zuversicht und Zukunft. Die Interviews wurden 2019 geführt. Alle Interviewten verbindet das Dorf Essenrode in Niedersachen. Hierher kamen sie als Flüchtlinge oder Vertriebene oder hier erlebten sie die Ankunft der Flüchtlingstrecks.

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Flucht & Aussiedlung | Teil 1
An ihrem 13ten Geburtstag wurde Anni Konnegen von ihrer Familie getrennt. Gemeinsam mit ihrer Schwester Grete versuchte sie vor den russischen Soldaten zu fliehen. Die Flucht misslang. Dauer: 7:33 Min.

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Flucht & Aussiedlung | Teil 2
Anni Konnegen
heiratete, bekam zwei Kinder und baute sich mit ihrem Ehemann eine Existenz in Polen auf. 1957 durfte sie mit ihrer Familie zu den Eltern nach Essenrode ausreisen. Dauer: 6:16 Min.

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Vertreibung aus Schlesien
Dorchen Remus
wurde 1930 in Schlesien geboren. Als 10-Jährige wird sie 1946 aus der Grafschaft Glatz in Schlesien vertrieben. Im Viehwagen beginnt eine Reise ins Ungewisse.
Dauer: 6:50 Min.

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Leben in Schlesien
Als Dorchen Remus 1 1/2 Jahre alt ist stirbt die Mutter. Dorchen lässt uns teilhaben an ihre Kindheit, an dem Leben in der Fabrikwohnung der Weberei und an ihrem Leben in Grenznähe zur “Tschechei”. Dauer: 3:42 Min.

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Mein Vater
Dorchen Remus
schildert das Leben ohne Vater in den Kriegsjahren und die gemeinsame Zeit mit dem Vater nach dem Krieg. “Mein Vater hat viel aus dem Krieg erzählt.”
Dauer: 5 Min.

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Das Gut in Essenrode
Ernst von Lüneburg 
erlebt als 4-Jähriger das Kriegsende in der Nähe von Lüneburg. Er berichtet über die Bedeutung des Gutes Essenrode während des Krieges und in den ersten Nachkriegsjahren. Dauer: 8 Min.

Ernst von Lüneburg starb am 10.09.2021.

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Flucht über die innerdeutsche Grenze
Irma Remus
wurde 1935 geboren. Als 16-Jährige flieht sie mit zwei Freunden aus der DDR in den Westen. Sie erzählt uns von ihrer Flucht, ihrem Ankommen in Essenrode und dem Tod ihrer Mutter. Dauer: 8:49 Min.

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Mein Weg
Magdalene Lück
wurde 1930 geboren. “Ja, ich war ja ein Mädchen. Die haben gar nichts zu lernen!” Magdalene Lück beschreibt die Schwierigkeiten als junge Frau und wie sie ihren eigen Weg ging. “Ich hau ab. Ist mir ganz egal wohin.” Dauer: 8:41 Min.

Magdalene Lück starb am 9.10.2020.

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Mit fünf Jahren Vollwaise
Edwin Jakimowitsch
wurde 1940 in Lettland geboren. In der Rückschau lässt er uns teilhaben an der Geschichte seiner Familie. “Das war für mich ein Schock. Ich kann mich erinnern, dass ich da bei meiner Großmutter saß und geheult habe wie ein Schlosshund.” Dauer: 7:21 Min.

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Der Umsiedlung folgte die Flucht
Helmut Schneider
nimmt uns mit auf eine lange und leidvolle “Reise” von Galizien bis nach Essenrode. Er spricht über seinen Vater, den er nie kennenlernte und über das Ankommen als “Flüchtlingskind” in Essenrode.
Dauer: 11:44 Min.

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Die Flucht von Elisenhof in Pommern
Brigitte Sack
und Erwin Grabow schildern ihre Fluchterlebnisse und das Ankommen in Essenrode. “Die haben zusammengehalten. Sonst wären wir nicht bis nach Essenrode gekommen. Noch einmal wollen wir das nicht erleben.” Dauer: 10:52 Min.

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Das Leben auf Elisenhof in Pommern
Brigitte Sack
und Erwin Grabow beschreiben ihre Kindheit zwischen Kuh- und Pferdestall und unberührter Natur auf Elisenhof. “Heiligabend wurden wir ins Gutshaus eingeladen. Und dann wurden Weihnachtslieder gesungen.”
Dauer: 9:58 Min.

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Bombardierung Braunschweigs
Thea Schneider
wurde 1934 geboren und wuchs in Essenrode auf. Sie berichtet über den Tod ihres 19-jährigen Cousins im Russlandfeldzug und wie sie als junges Mädchen die Bombardierung Braunschweigs im Keller des elterlichen Hauses in Essenrode erlebte. Dauer: 8:58 Min.

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Kindheit in Essenrode
Thea Schneider
erinnert  ihre Aufnahme in den Bund Deutscher Mädel und das Leben als junges Mädchen in Hitler-Deutschland. Und sie beschreibt ihr Erleben der Nachkriegsjahre. Dauer: 8:17 Min.

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Mit offenem Herzen lauschen
Christoph Pauer
war bis 2019 über 35 Jahre Pastor in Essenrode. Er spricht  über das Zuhören mit offenem Herzen und dem darin liegenden Geschenk der Würde.
Dauer: 5:37 Min.

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Gelungene Integration
Christoph Pauer
spricht über das Gelingen von Integration, über Vertrauen und Zuversicht und er spricht über die Bedeutung des Erinnerns um der Zukunft Willen. “Vergessen führt in die Verbannung, Erinnern führt in die Erlösung.”
Dauer: 6:20 Min.

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Erinnerungen an den Krieg
“Meine Großmutter saß auf der Ofenbank und weinte. Sie sagte: Es ist Krieg!”
So beschreibt Waldemar Lück, 1937 geboren, seine erste Erinnerung an den Krieg. Er spricht über das Leben auf Elisenhof, Zwangsarbeiten und den Nationalsozialismus auf Elisenhof und über die Flucht.
Dauer: 9:47 Min.

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Eine tiefe Freundschaft
Hartmut Bosse
wurde 1938 geboren. Als Kind erlebte er den Krieg und die Ankunft der Flüchtlinge in Essenrode. Er berichtet von den Begegnungen mit dem Flüchtlingskind Waldemar Lück und wie sich daraus eine bis heute andauernde Freundschaft entwickelte.
Dauer: 15:31 Min.

Essenrode hilft

Essenrode hilft

Im Januar 2016 ziehen nahezu 30 Asylbewerber aus dem Sudan als neue Mitbürger in einen Wohncontainer Park auf dem früheren Festplatz an der Brunsroder Straße in Essenrode ein.

Die Gemeinde kümmert sich um die Unterbringung der Asylbewerber. Die jungen Männer aus dem Sudan erhalten monatlich eine minimale Grundversorgung vom Sozialamt und sind für ihre Verpflegung selbst zuständig. Die Gemeinde Lehre ist sowohl finanziell als auch personell am Rande des Machbaren. Deshalb organisiert der  Bürgerverein   zusammen  mit

Gemeinsames Grillen in Essenrode; Foto: privat

dutzenden Freiwilligen vielfältige Hilfe für die Menschen.

Orientierung

Ortspläne von Essenrode und den umliegenden Ortschaften werden in Deutsch, Englisch und Arabisch angefertigt. Busverbindungen und Markierungen für Supermärkte, Ärzte, Apotheken und Behörden werden eingezeichnet, um den Flüchtlingen eine erste Orientierung zu geben.

Begleitung und Einkaufshilfe

Mehrmals wöchentlich organisiert ein Pool von gut einem Dutzend Fahrern Fahrten für Einkäufe, Arztbesuche oder Behördengänge.

Deutschunterricht

Deutschkursus beim Bürgerverein Essenrode: Die Schüler sind mit Eifer dabei. Quelle: Wolfsburger Allgemeine Zeitung; Sebastian Bisch

Besonders groß ist das Engagement der freiwilligen Deutschlehrerinnen. Über einen Zeitraum von 18 Monaten werden viermal wöchentlich zweistündige Unterrichtseinheiten im Dorfgemeinschafts- und Pfarrhaus durchgeführt und den Menschen aus dem Sudan bei den ersten Schritten in der deutschen Sprache geholfen. Neben dem praktischen Nutzen entstehen  über die  Monate  auch tolle freundschaftliche Beziehungen.

Dieses Engagement  wird im  Sommer 2017 mit dem “Gemeinsam Preis” der Braunschweiger Zeitung für außergewöhnliche Ehrenamtliche Tätigkeit anerkannt.

Freizeit & Beschäftigung

Die jungen Männer und die Essenroder kennen sich zunächst nicht. Die vielen ehrenamtlichen Helfer wissen, dass das Kennenlernen und die Integration in den Ort am besten gelingen, wenn sie die Menschen in die Gemeinschaft einbinden. Sehr gut geht dies z.B. über Sport, Musik, Spielen und gemeinsame Interessen. Zahlreiche gemeinsame Unternehmungen und Ausflüge werden organisiert. Museumsbesuche, der

Besuch der Volkswagenarena in Wolfsburg; Foto: privat

Besuch der Volkswagen-Arena in Wolfsburg, gemeinsame Radtouren und vieles mehr stehen auf dem Programm.

Im Oktober 2017 ziehen die in Essenrode untergebrachten Flüchtlinge nach Lehre um, da die Miete für den Containerpark zum Ende 2017 gekündigt wird. Für den Bürgerverein Essenrode mit seinen vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern endet damit die Hilfe im Ort. Viele der Freiwilligen bleiben über persönliche Kontakte mit den jungen Männern aus dem Sudan verbunden und helfen individuell weiter. Andere bringen sich im Verein “Willkommen in Lehre” weiterhin aktiv für die Flüchtlingshilfe in Lehre ein.

Der Bürgerverein Essenrode blickt mit großer Freude auf die knapp zwei Jahre der Hilfe zurück. Die Essenroder haben sich in dieser Zeit als sehr gastfreundlich und hilfsbereit und offen gezeigt.

Für die jungen Männer aus dem Sudan geht Ende Oktober 2017 die Zeit in Essenrode zu Ende. In den zwei Jahren in Essenrode haben sie viele Menschen kennen gelernt und Hilfe bekommen. Das Miteinander hat die Essenroder sehr bereichert. Darauf können die Menschen in Essenrode stolz sein.
Quelle:.https://essenrode.wixsite.com/home Fotos:.Bürgerverein Essenrode e.V.

Vor 75 Jahren haben die Menschen des Ortes bewiesen, dass Integration gelingen kann. 2016 haben die Menschen in Essenrode in vorbildlicher Weise gezeigt, wie wichtig es gerade auch heute ist, Menschen, die in Not sind, mitmenschlich zu begegnen und ihnen zu helfen.

Das Kapitel des Schreckens von Flucht und Vertreibung, von Heimatverlust, vom Ankommen und davon, wie durch Offenheit und Zugewandtheit Integration gelingen kann, Wunden heilen und Wurzeln neu wachsen können, schreibt sich täglich weiter.

Essenrode

Essenrode

Ansichtskarte; Essenrode ca.1955; privat

Das Jahr 1945 hat den Ort Essenrode in besonderer Weise geprägt. In das Dorf kommen mit Ende des Krieges Flüchtlinge und Vertriebene aus Pommern, West- und Ostpreußen, Schlesien, dem Sudeten- und Wartheland, Bessarabien, dem Baltikum, Galizien und anderen Regionen der ehemaligen Ostgebiete.

In den Folgejahren fliehen dann auch Menschen aus dem sowjetisch besetzen Teil Deutschlands und später der DDR nach Essenrode.

Essenrode um 1830; Quelle: Erzenrod - Eine Dorfbeschreibung im Jubiläumsjahr [1996] von Hartmut Bosse

Das kleine Dorf Essenrode verdoppelte nahezu seine Einwohnerzahl durch die Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen. Am 01.10.1928 hat Essenrode eine Gesamteinwohnerzahl von 558. Die Einwohnerzahlen bleiben bis 1945 bei unter 550. So beträgt z.B. 1937 die Einwohnerzahl 518. 1946 werden in Essenrode 973 Einwohner gezählt. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Essenrode#cite_note-gesch-3; abgerufen 21.02.2020, 11:10 Uhr

Essenrode um 1995; blau umrandet Essenrode bis 1945 Quelle: Erzenrod - Eine Dorfbeschreibung im Jubiläumsjahr [1996] von Hartmut Bosse

Zuflucht Essenrode

Die ankommenden Flüchtlinge und Vertriebenen werden auf die Familien des Ortes verteilt. Die Verteilung läuft nicht ohne Widerstände der aufnehmenden Familien, da der Ort zu diesem Zeitpunkt schon fast so viele Flüchtlinge wie Einwohner aufgenommen hat. Dazu kommen ausgebombte Familien aus Hamburg und Hannover. In einer der Bauernfamilien leben aus diesem Grund zeitweise 44 Menschen im Haus. Schließlich bekommen aber alle ein Dach über dem Kopf. Mit dem Ende des Krieges verändert sich der Ort. Das kleine Dorf verdoppelte nahezu seine Einwohnerzahl durch die Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen. Die auf den Höfen arbeitenden Kriegsgefangenen werden durch den Einzug der amerikanischen Soldaten Anfang April 1945 befreit und kehren in ihre Heimatländer zurück. Viele Ehemänner, Väter und Söhne der Familien im Ort sind nach dem Krieg noch nicht wieder zurückgekehrt oder befinden sich in Kriegsgefangenschaft. Nach und nach finden sie den Weg zu ihren Familien in Essenrode. Jedoch nicht alle kehren zurück. Sie gehören zu den unzähligen Toten eines schrecklichen Krieges.

Ansichtskarte; Essenrode Anfang der 60´er Jahre; privat

Noch Jahrzehnte später erinnern die Neuankömmlinge ihre ersten Erfahrungen im Ort. Sie erzählen von den Schwierigkeiten, den Vorbehalten, denen man ihnen entgegenbrachte, aber auch von der Hilfe und Unterstützung, die sie erfahren haben.

Du warst aber immer in Essenrode das Flüchtlingskind. Man hat es manchmal gespürt, dass man nicht von hier war.

Wenn du Flüchtlingskind warst, dann wurdest du schon von den anderen eingestuft. Denn die waren ja nicht begeistert, als die Flüchtlinge kamen. Die mussten zusammenrücken.

– Aus den Zeitzeugeninterviews, Essenrode 2019/2020

Fragt man heute die Menschen, die am Ende des Krieges nach Essenrode kamen, so ist ihr Urteil eindeutig. Auch wenn manche von ihnen zwischen ihrer Heimat und ihrem Zuhause unterscheiden, so fühlen sie sich heute als Essenroder und als Teil dieser Gemeinschaft.

Ich möchte Essenrode nicht missen. Essenrode ist mein Heimatort und er wird es auch bleiben.

– Aus den Zeitzeugeninterviews, Essenrode 2019/2020

Zuversicht in Essenrode

Die Menschen und der Ort stehen vor großen Herausforderungen. Für die ankommenden Flüchtlinge und Vertriebenen muss Wohnraum gefunden werden. Und es geht darum, Neuankömmlinge und Essenröder in einer Dorfgemeinschaft zu vereinen. Das Leben im Ort und in den Vereinen wird durch das “neue“ Miteinander und die größere Vielfalt geprägt. Viele der Menschen finden Arbeit auf den Bauernhöfen und dem Gut. Nach und nach bahnt sich im täglichen Miteinander ein neues Leben und die Zuversicht kehrt zurück. Neben der gemeinsamen Arbeit in der Landwirtschaft kehren die Menschen schon bald zum dörflichen Leben zurück. Gemeinsam feiern Neuankömmlinge und Alteingesessene, treiben Sport miteinander, singen gemeinsam im Chor oder engagieren sich in der Feuerwehr und den anderen Vereinen, dem Kirchenvorstand und anderen Gremien.

Ein Fest, bei dem sich vor allem die jungen Menschen vergnügen und näher kommen, ist das jährliche Fahnenjagen.
Das Fahnenjagen ist ein Ereignis für das ganze Dorf, insbesondere für die Jugend des Ortes. Es ist ein Wettbewerb für junge Männer. Sie reiten auf Pferden und müssen einen Stock durch einen hängenden kleinen Eisenring stechen. Derjenige, der es am besten kann, wird Fahnenkönig und bekommt eine Holzfahne. Diese Fahne wird in einem Umzug durch das Dorf zum Haus des Siegers getragen und an seinem Haus befestigt. Abends feiert das ganze Dorf bei einem gemeinsamen Tanzvergnügen.

Fahnenjagen 1957, Wilfried Wolter als Fahnenkönig; Foto: privat
Fahnenjagen 1948 in Essenrode; Foto: privat

Die Nachkriegszeit ist geprägt von dem Wunsch nach genügend Essen und nach einer Wohnung. Über dem eigenen, oft traumatisierenden Erleben während des Krieges und am Kriegsende, über der NS-Diktatur und dem Holocaust liegt ein Schweigen.

Die “Normalität” sollte wieder beginnen – nach dem Krieg, nach der Zeit der wirtschaftlichen und politischen Ungewissheit. Und tatsächlich: 1948 bekommen die Menschen mit der Währungsreform die Deutsche Mark und 1949 wird die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Die Deutschen in der Bundesrepublik geben sich eine neue Verfassung in der die Würde des Menschen einen besonderen Stellenwert erfährt. Eine neue Regierung mit Kanzler Adenauer wird gebildet und Bonn wird neue Hauptstadt.

In den fünfziger Jahren erfährt die junge Bundesrepublik ein enormes wirtschaftliches Wachstum – das sogenannte Wirtschaftswunder. Auch auf die Menschen in Essenrode hat dieses Wachstum Auswirkungen. Die Mechanisierung und Industrialisierung hält immer stärker Einzug. Während durch die Mechanisierung in der Landwirtschaft Arbeitskräfte frei werden, sucht das Volkswagenwerk in Wolfsburg dringend Arbeitskräfte. Viele der jungen Männer und später auch Frauen finden eine gut bezahlte Arbeit in der Automobilindustrie.

1/2 Million VW Käfer; Foto: privat
Blick auf die Neubausiedlung Neuer Kamp; Foto: privat

Nach und nach können sich die Menschen wieder etwas leisten. Ende der 1950er Jahre entstehen die ersten neuen Siedlungen, deren Straßen Namen tragen, die auf die Herkunftsorte der Neuankömmlinge hinweisen, z.B. Pommernweg und Schlesierweg. Das Eigenheim, der VW Käfer und die Urlaubsreise werden Wirklichkeit.

Zukunft

Noch heute leben viele Familien in Essenrode, deren Eltern, Groß- oder Urgroßeltern als Flüchtlinge oder Vertriebene nach Essenrode kamen und hier eine neue Heimat und ihre Zukunft fanden. Viele dieser Familiennamen sind im Ort und in den Vereinen präsent und auf besondere Weise mit der Geschichte des Ortes verbunden.

Die meisten der Flüchtlings- und Vertriebenfamilien sind in Essenrode geblieben. Ihre Namen findet man auch heute noch in Essenrode, denn viele ihrer Kinder und Enkelkinder und mittlerweile auch Urenkel sind in Essenrode geblieben. Sie sind ein nicht mehr wegzudenkender Teil der dörflichen Gemeinschaft.

Heute blicken die Menschen mit Dankbarkeit zurück. Essenrode ist ihr neues und sicheres Zuhause geworden. Essenrode ist für die Menschen eine sichere Basis geworden, von der aus sie und die nachfolgenden Generationen sich in der Welt entfalten und die Zukunft mitgestalten können und werden.

Essenrode heute; Foto: Bürgerverein Essenrode e.V.

Umsiedlung aus Galizien

Umsiedlung aus Galizien

Helmut Schneider wird am 11. Januar 1945 in Lilienfeld im Wartheland geboren. Der Verlauf seiner ersten Lebensjahre ist stark geprägt von den sich für die Zivilbevölkerung zuspitzenden Ereignissen eines schrecklichen Krieges und seinen Folgen.

Ende 1939 / Anfang 1940 werden ca. 50.000 deutschstämmige Galizier ins Deutsche Reich umgesiedelt. Auch die Eltern von Helmut Schneider sind davon betroffen.

Um das bewegte Leben von Helmut Schneider verstehen zu können, richten wir unseren Blick zunächst auf das Jahr 1781.

Ansiedlungspatent 1781

“Die Lage des Handwerks und der Landwirtschaft ist zur Zeit der Konstituierung des Kronlandes Galizien im Vergleich zu den westeuropäischen Ländern äußerst rückständig. Joseph II. beschließt daher in seinem Ansiedlungspatent vom 17. September 1781, Gewerbetreibende, Handwerker und Bauern für das neue Kronland anzuwerben. Keineswegs ist hier an eine Germanisierung des Landes gedacht, vielmehr versprach man sich von den Neusiedlern eine lehrreiche Vorbildfunktion. Infrage kommen insbesondere die Pfälzer vom Rhein, denn durch die unglückliche Realerbteilung waren dort die Landwirtschaften so klein geworden, dass einerseits eine intensive Felderwirtschaft entwickelt werden musste, andererseits für die Bauern handwerkliche Fähigkeiten zum nötigen Nebenerwerb erforderlich waren.

Der Anreiz zur Abwanderung nach Galizien war groß, denn die Behörden stellten den neuen Kolonisten Land, Wohnhaus, Stall, Vieh und Ackergeräte kostenlos zur Verfügung. Die Größe der Höfe betrug nach heutigem Flächenmaß etwa 4, 8 oder 15 Hektar, sie hing ab von der Höhe des mitgebrachten Kapitals, der Familiengröße und der Güte des Ackers. Die Kolonisten waren für zehn Jahre von allen Abgaben befreit, die Hofbesitzer und ihre ältesten Söhne vom Militärdienst freigestellt.

Vom Juni 1782 bis zum Januar 1786 kamen 14.735 Kolonisten ins Land. Sie wurden entweder in neu gegründeten Dörfern oder in Erweiterungen bereits bestehender Dörfer (sogenannte Attinenzen) angesiedelt. Auch danach gibt es noch kleinere Einwanderungswellen.”
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Galiziendeutsche#Herkunft_der_Siedler
https://de.wikipedia.org/wiki/Galizien

Helmut Schneiders Vorfahren, die ebenfalls aus der Pfalz stammen, zieht es nach Galizien. Die Familien Göres und Schneider bauen sich eine Existenz als Bauern mit einer eigenen kleinen Landwirtschaft auf. Familie Schneider betreibt dazu Gasgruben.

Von Mariusz Pazdziora, translated by NordNordWest - Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4805801

Helmuts Mutter, Emilie Göres, wird 1919 in Konstantynowka in Galizien geboren. Konstantynowka war eine im 19. Jahrhundert entstandene deutsche evangelische Kolonie. Heute gehört Kostjantyniwka zur Ukraine. Emilies späterer Wohnort Essenrode liegt ca. 1.200 km entfernt.

Helmuts Vater, Wilhelm Schneider, wird 1913 in Gelsendorf, Galizien, geboren. Zwischen seinem Geburtsort und dem seiner späteren Frau Emilie, liegen etwa 120 km.

Hitler-Stalin-Pakt und die Umsiedlung

Um verstehen zu können, wie Emilie und Wilhelm zueinander finden, heiraten und Helmut geboren wird, richten wir den Blick auf die Ereignisse des Jahres 1939, also gut fünf Jahre vor Helmuts Geburt.

Im Jahre 1939 wird Galizien schon vor Beginn des Zweiten Weltkrieges zwischen Hitler und Stalin aufgeteilt. Noch vor Ende des Krieges gegen Polen wird eine deutsch-sowjetische Kommission gebildet und die Registrierung aller Personen und deren Eigentum vorgenommen. Ende 1939/Anfang 1940 werden ca. 50.000 deutschstämmige Galizier ins Deutsche Reich umgesiedelt. Dies verläuft sehr chaotisch. Über verschiedene Lager, oftmals sind die Männer und Söhne und die Mütter mit den Töchtern in unterschiedlichen Lagern untergebracht, werden die Deutschen in den annektierten Reichsgau Wartheland gebracht. Es gibt Familien, die über den Umweg von Lagern in Berlin und Sachsen nach Oberschlesien kommen. Damit ist die Geschichte der Deutschen in Galizien beendet. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Galizien

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wartheland.png?uselang=de

Reichsgau Wartheland

Die Familien Göres und Schneider sind in der ersten zum Teil chaotisch ablaufenden Umsiedlungs welle nicht dabei. Sie bleiben noch bis 1941 in Galizien und werden dann direkt in den “Reichsgau” Wartheland umgesiedelt. Die Unterbringung in einem Übergangs lager bleibt ihnen erspart. Sie werden direkt auf Höfe verteilt.

Am 13. März 1943 heiraten Emilie und Wilhelm. Wilhelm ist zu diesem Zeitpunkt bereits von der Wehrmacht eingezogen und erhält Heiratsurlaub. Seine Einheit ist das Wachbataillon, das zunächst zum Schutz der “Wolfsschanze”, Hitlers Führerhauptquartier in Ostpreußen, eingesetzt ist. Als Hitler sich nach Berlin zurückzieht übernimmt das Wachbataillon den Schutz des Führerbunkers in Berlin.

Anfang 1944 sehen sich die Eheleute ein letztes Mal. Emilie wird schwanger und bringt neu Monate später, am 11. Januar 1945, Helmut in Lilienfeld im Warthegau zur Welt.

Flucht aus dem Wartheland nach Sandersdorf

Am 31. Januar 1945 muss Emilie mit ihrem gerade drei Wochen alten Helmut aus Hohensalza im Warthegau vor der herannahenden Roten Armee fliehen. Frauen mit kleinen Kindern werden in den Zug in Richtung Westen gesetzt. Und so werden Emilie und ihr kleiner Sohn Helmut von Emilies Eltern getrennt. Marie und Johann Göres gehen mit Pferd und Wagen im Treck auf die Flucht.

Der Zug fährt bis Leipzig und von dort geht es nach Sandersdorf bei Bitterfeld. Der Ort liegt ca. 500 km entfernt von Hohensalza, dem Ausgangspunkt ihrer Flucht. Hier erleben Emilie und Helmut das Kriegsende. Sie erleben aber auch die sowjetische Besatzung und die sich abzeichnende Entstehung der DDR.

Flucht von Sandersdorf nach Essenrode

In Sandersdorf erfährt Helmuts Mutter, dass ihre Eltern und Verwandte nach Essenrode geflüchtet sind. Nun unterstützt sie Verwandte, die mit ihr in Sandersdorf leben, bei der Flucht über die innerdeutsche Grenze nach Essenrode. Schließlich entschließt auch sie sich zur Flucht nach Essenrode. Ende April 1949 macht sie sich mit ihrem Sohn auf den Weg in den Westen. Mit dem Zug geht es zunächst bis Oebisfelde, nahe der innerdeutschen Grenze und dann in den nahegelegenen Ort Wassensdorf zu Verwandten. Um auf der Flucht keinen Verdacht zu wecken, ist die Reise als Verwandtenbesuch “getarnt”. Im Morgengrauen des 1. Mai 1949 nutzt Emilie mit ihrem Sohn den Wachwechsel der russischen Soldaten an der innerdeutschen Grenze zur Flucht in den Westen. Ihre Flucht gelingt bei Grassleben. Da Straßen und Brücken bombardiert und zerstört sind, muss der 4-jährige Helmut an der Hand seiner Mutter über die Eisenträger einer zerstörten Brücke in den Westen balancieren. Immer wieder rutschen seine kleinen Füßchen von den Eisenträgern und immer wieder hält ihn seine Mutter fest an seiner Hand. Schließlich erreichen beiden auf dem Weg von Grasleben über Jelpke Essenrode.

Nun geht eine Flucht, die für Emilie im 1.200 km entfernten Konstantynowka in Galizien zunächst mit der Umsiedlung begonnen hatte, zu Ende. Auch wenn der Krieg und die Flucht jetzt zu Ende sind, werden die Folgen des NAZI Terrors und der Schrecken des Krieges Helmut sein Leben lang begleiten. Seinen Vater Wilhelm wird Helmut auch nach Ende des Krieges nicht kennen lernen. Die letzte Nachricht erreicht Helmut und seine Mutter aus April 1945. Seit diesen Tagen, kurz vor Ende eines menschenverachtenden 2. Weltkrieges, gilt Wilhelm Schneider als vermisst.

Später heiratet Emilie in Essenrode Rudi Dosdall.

Umsiedlung der Bessarabiendeutschen

Umsiedlung der Bessarabiendeutschen

Imanuel Böpple

wird am 17.08.1882 in Seimeny, Kreis Akkermann, in Bessarabien geboren. Sein Geburtsort liegt 1.500 km entfernt von der Reichshauptstadt Berlin. Und dennoch werden die Folgen der nationalsozialistischen Machtüber-nahme von 1933 und die diktatorische Gewaltherrschaft auch ihn und seine Familie in der Ferne treffen. Am Ende des Zweiten Weltkrieges erreichen Imanuel Böpple und seine Familie Essenrode.

Else Göres

wird am 7. Mai 1923 in Parapara, Kreis Ismail, Bessarabien als Else Dayss geboren. Else und ihre Familie ereilt ebenfalls das Schicksal der Umsiedlung und später der Flucht. Elses Eltern sind Wilhlem und Katharina, geborene Gebhardt. Wie Familie Böpple  fliehen auch Else Dayss und ihre Familie. Ihre Flucht endet im März 1945 ebenfalls in Essenrode. 

Wo liegt Bessarabien?

Bessarabien in Europa; https://de.wikipedia.org/wiki/Bessarabien
Bessarabien 1940; https://de.wikipedia.org/wiki/Bessarabien

Bessarabien ist eine historische Landschaft in Südosteuropa, begrenzt vom Schwarzen Meer im Süden sowie den Flüssen Pruth im Westen und Dnister/Dnjestr im Osten. Das frühere Bessarabien deckt sich heute weitgehend mit dem westlich des Dnister liegenden Teil der Republik Moldau, nur der Süden (Budschak) sowie der äußerste Norden (um Chotyn) gehören zur Ukraine. Jahrhundertelang war das Land Pufferregion zwischen den Großmächten Österreich, Russland und dem Osmanischen Reich. 1812 trat das Fürstentum Moldau die Herrschaft an Russland ab. Danach war der mehrheitlich von Rumänen bewohnte Landstrich bis 1917 als Gouvernement Bessarabien Teil des russischen Kaiserreichs. 1918 war Bessarabien kurzfristig unabhängig. In der Zwischenkriegszeit war es östliche Provinz Rumäniens und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es der Sowjetunion angeschlossen. Quelle:https://de.wikipedia.org/wiki/Bessarabien; abgerufen 24.02.2020

Wann kamen die Böpples nach Bessarabien?

Deutsche Auswanderer, die der Zar 1813 als Kolonisten ins Land rief, lebten in Bessarabien zwischen 1814 und 1940. Sie lebten als selbstständige Landwirte auf eigener Scholle. In 125-jähriger Siedlungszeit hatten sie die ursprüngliche Zahl von 24 Mutterkolonien auf über 150 bessarabiendeutsche Siedlungen erweitert. Die Zahl von etwa 9.000 eingewanderten Personen hatte sich auf 93.000 Personen mehr als verzehnfacht. Die anfänglich gewährten Privilegien, darunter die Selbstverwaltung durch das Fürsorgekomitee mit Sitz in Odessa, wurden um 1870 mit der Aufhebung des Kolonistenstatus zurückgenommen. Vor allem wegen der Einführung des Militärdienstes wanderten in der Folge viele Kolonisten nach Nord- und Südamerika (mit Schwerpunkten in Nord- und Süd-Dakota, Kanada, Argentinien, Brasilien) aus.

Gottlieb Böpple wird am 10.01.1805 in Kornwestheim in Württemberg geboren. Er folgt dem Aufruf des russischen Zaren und wandert nach Bessarabien aus, wo er als sogenannter Kolonist 1830 die Kolonistin Salome Hettig (*1810 in Augustowo in Polen) heiratet.

Imanuel Böpple ist in erster Ehe verheiratet mit Maria Bachmüller, die im Februar 1914 verstirbt. Aus der Ehe gehen die Kinder Herta und Olga hervor. Herta und Olga wandern später mit ihren Familien in die USA aus.

Imanuel heiratet vier Jahre später Wilhelmine (*1888 in Sofiental, geborene Steffan, verwitwete Daffe). Aus der Ehe gehen die fünf Kinder Berta, Erna, Florentina, Albert und Adeline hervor.

Imanuel Böpple arbeitet im Gegensatz zu vielen Kolonisten nicht als Landwirt auf eigener Scholle, sondern als Schneidermeister im eigenen Betrieb.

Hitler-Stalin-Pakt und die Umsiedlung

Als im Juni 1940 als Folge des Hitler-Stalin-Paktes Bessarabien durch die Sowjetunion besetzt wird, kommt es zur Umsiedlung fast aller dort lebenden „Volksdeutschen“ in das Deutsche Reich. Im September 1940 wird mit der Sowjetunion dazu ein spezieller Umsiedlungsvertrag geschlossen. Organisator dieser Kampagne unter der Devise Heim ins Reich ist das Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle (VoMi). Nach einem bis zu zweijährigen Aufenthalt in Lagern erhalten die Umsiedler ab 1941/42 Bauernhöfe im besetzten Polen, deren polnische Besitzer von deutschem Militär vertrieben werden. Als 1944 die Rote Armee anrückt, fliehen die Bessarabiendeutschen nach Westen. Unter den bessarabiendeutschen Umsiedlern waren auch die Eltern des späteren deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Bessarabien, abgerufen 24.02.2020.

Die entscheidende Textstelle beim Aufruf des deutschen Bevollmächtigten für die Umsiedlung:

Organisiert von der aus dem Reich angereisten Umsiedlungskommission verlassen die Bessarabiendeutschen innerhalb eines Monats in Lastwagen, per Bahn oder Pferdetreck auf vorher festgelegten Routen durch die Grenzorte Galatz, Reni und Kilia ihre Heimat.

"Reichsgau" Wartheland

Imanuel Böpple wird mit seiner Familie nach Posen in das Wartheland umgesiedelt. Böpple, der 1902 als Schneidermeister seine eigene Schneiderei in Mannsburg in Bessarabien gegründet hatte, wird nun Landwirt. In der Gemeinde Preisingen im Kreis Gnesen erhält die Familie einen Bauernhof mit 14 ha Ackerland.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/archive/ b/b4/20161013234809%21Danzig-Westpreussen.png
Einbürgerungsurkunde; Foto: privat

Flucht aus dem Wartheland nach Essenrode

Als im Frühjahr 1945 die Offensive der Roten Armee die deutschen Truppen immer weiter nach Westen zurückdrängt, begibt sich Imauel Böpple mit seiner Familie auf die Flucht in Richtung Westen. Mit Pferd und Wagen und den nötigsten Habseligkeiten machen sie sich auf den Weg. Schließlich finden sie Zuflucht in Essenrode. Ein weiteres Mal baut sich die Familie eine neue Existenz auf.

Imanuels und Wilhelmines Kinder heiraten. Die Tochter Erna heiratet Oskar Dayss, dessen Familien ebenfalls aus Bessarabien über das Wartheland nach Essenrode kommt. Erna und Oskar bekommen vier Kinder, Monika, Norbert, Brigitte und Berndt. Zwei der Kinder leben heute mit ihren Familien in Essenrode.

Else Dayss

wird am 7. Mai 1923 in Parapara, Kreis Ismail, Bessarabien geboren. Else und ihre Familie ereilt ebenfalls das Schicksal der Umsiedlung und später der Flucht. Elses Eltern sind Wilhlem und Katharina, geborene Gebhardt.

Im Gegensatz zu Familie Böpple bleibt Else Dayss der Aufenthalt in einem Lager nicht erspart. Erst nach fast einem Jahr darf sie das Lager verlassen.

Umsiedlungs-Lager

Auch nach März 1941 konzentrierte sich die NS-Politik zunehmend auf die Ansiedlung deutscher Bevölkerung im Wartheland. Hierzu wurde eine Vielzahl von Volksdeutschen aus eroberten Gebieten der Sowjetunion angesiedelt. Ab 1941 wurden die Bessarabiendeutschen, die Bukowinadeutschen und die Dobrudschadeutschen zumeist ins Wartheland umgesiedelt. Diese Umsiedelung verlief oft chaotisch und desorganisiert. Zuvor waren die Umsiedler monate- bis jahrelang in Hunderten von Lagern der Volksdeutschen Mittelstelle (VoMi) untergebracht. Im Ansiedlungsgebiet nahmen Stellen der deutschen Besatzungsmacht den polnischen Besitzern unter Gewaltandrohung ihre Höfe ab und übertrugen sie den deutschen Ansiedlern.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Wartheland; abgerufen 24.02.2020

Else Dayss kommt zunächst in ein Lager in Massersdorf im “Sudetengau”. Dort erhält sie einen Lagerpaß mit der Nr: Sudg. Nr. 53830. Das Lager Massersdorf, in das sie am 19.10.1940 aufgenommen wird, verlässt Else Dayss am 08.08.1941. Im Lagerpaß ist als Zielort Litzmannstadt angegeben. Tatsächlich wird Else am 08.08.1941 aber in ein Lager nach Kalisch in den “Reichsgau” Wartheland verlegt. Das Lager in Kalisch trägt laut Eintragung im Lagerpaß die Nr. 4. Der letzte Stempeleintrag im Lagerpass ist datiert mit 7. Okt. 1941.

Flucht aus dem Wartheland nach Essenrode

Wie Familie Böpple fliehen auch Else Dayss und ihre Familie vor der heranrückenden Roten Armee. Im Januar 1945 zwingt sie die Winteroffensive zur Flucht, die im März 1945 ebenfalls in Essenrode endet. Elses Vater kommt erst vier Monate später in Essenrode an. Zunächst gibt es keine freie Wohnung. Ein halbes Jahr lang muss sich die Familie mit einem Pferdestall als Unterkunft begnügen. Erst dann kann eine Wohnung bezogen werden.

In einer der ersten Trauungen nach dem Ende des Krieges geben sich Else Dayss und Hans Göres, der ebenfalls Essenrode als Flüchtling erreichte, das Jawort. Aus der Ehe gehen die vier Kinder Edeltraud, Eveline, Siegmar und Silvia hervor. Auch sie haben mit ihren Familien in Essenrode gelebt oder tun das noch heute.

Umsiedlung der Deutschbalten aus Lettland

Umsiedlung der Deutschbalten aus Lettland

Edwin Jakimowitsch wird im September 1940 als Sohn einer Deutschen und eines lettischen Offiziers in Mitau in Lettland geboren. Sein Schicksal zeigt hier stellvertretend die Auswirkungen der Umsiedlung der Deutschbalten zu Beginn des Zweiten Weltkrieges und der Flucht am Ende Zweiten Weltkrieges.

Jakimowitsch Vorfahren mütterlicherseits sind Protestanten und leben seit Generationen in Lettland. Sie sind Handwerker, Beamte, Ärzte, Müller, Buchhändler oder Journalisten.

Jakimowitsch Mutter Karin verliebt sich in einen Offizier der lettischen Armee. Zu jener Zeit ist es nicht üblich, dass Deutsche und Letten heiraten. Jakimowitsch Großeltern tolerieren jedoch die Ehe ihrer Tochter mit Alexander Jakimovics.

Alexander Jakimovics war “Lettlands bester Schwimmer”, wie die Fiziska Kultura un Sports 1938 titelte und 1936 nahm er an den Olympischen Spielen in Berlin teil.Fiziska Kultura un Sports; 1938

Die junge Liebe dieser zwei Menschen sollte schon bald vor große Heraus-forderungen gestellt werden und die junge Frau vor eine folgenschwere Entscheidung stellen.

1939 kommt es zur Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes, der das Schicksal der Familie Jakimovics mitbestimmt. Die so genannte „Umsiedlung der Deutschbalten“ aus Estland und Lettland erfolgt sechs Wochen nach Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes. In seiner Rede im Deutschen Reichstag am 6. Oktober 1939 gibt Adolf Hitler die Umsiedlung bekannt. Bereits am folgenden Tag wird sie in der Rigaschen Rundschau angekündigt und bildete den Auftakt der nationalsozialistischen Umsiedlungsaktionen zu Beginn und während des Zweiten Weltkrieges.

http://www.libau-kurland-baltikum.de/Baltendeutsche-Deutschbalten/baltendeutsche-deutschbalten.html

Während die Familie von Edwins Mutter in das Wartheland umgesiedelt wird, entscheidet sie sich, an der Seite ihres Mannes in Lettland zu bleiben.

Edwins Mutter wird Anfang 1940 mit ihm schwanger. Es scheint zunächst so, als solle Edwin in eine Familie einer deutschen Mutter und eines lettischen Vaters hineingeboren werden und aufwachsen. Doch es soll alles ganz anders kommen.

In der Folge des Hitler-Stalin-Paktes wird Lettland am 17. Juni 1940 von sowjetischen Streitkräften besetzt und im August dieses Jahres als Sozialistische Sowjetrepublik Lettlands (LSSR) in die Sowjetunion eingegliedert. Viele Bewohner Lettlands freuen sich zunächst über den Einmarsch Moskaus Roter Armee. Die Freude ist jedoch nur von kurzer Dauer. Wenig später beginnt die Sowjetisierung.

Edwins Vater, der Offizier bei der Armee Lettlands ist, wird verhaftet und im Frühjahr 1941 zu acht Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Er kommt in den Gulag und wird in ein Straf- und Arbeitslager am Eismeer deportiert.

Im September 1940 kommt Edwin in Mitau in Lettland zur Welt. Nach der Verhaftung ihres Mannes ist Edwins Mutter auf sich allein gestellt. Nachdem sie Gewissheit hat, dass ihr Mann nicht so schnell zurückkehren wird, entscheidet sie sich, Lettland zu verlassen und zu ihrer Familie zu gehen. Gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn erreicht sie zunächst Heilbronn, um wenig später dann in das Wartheland zu ihren Verwandten nach Kalisch zu ziehen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Wartheland#/media/Datei:Reichsgau_Wartheland_(Karte).png

Doch auch hier findet die 25-jährige Mutter keinen dauerhaften Platz für sich und ihren Sohn. Der Verlauf des Krieges zwingt sie 1945 zur Flucht. Mit ihrem 4-jährigen Sohn flüchtet sie aus Kalisch vor der herannahenden Roten Armee bis nach Triangel in die Nähe von Gifhorn.

Edwin, der in seinem bis dahin kurzen Leben, Schreckliches hatte erleben müssen, bleibt vom Schicksal nicht verschont. Seine Mutter erkrankt im November 1945 an einer Blinddarmentzündung, wird in die Stadt des KdF Wagens (später Wolfsburg) verbracht und stirbt 25-jährig an einem Blinddarmdurchbruch. Edwin ist nun mit fünf Jahren Vollwaise.

Die Schwester seiner Mutter ist mit einem Arzt Dr. Riesenkampff verheiratet. Auch sie sind aus Lettland in den Reichsgau Wartheland umgesiedelt worden. Ihre Flucht endete 1945 in Essenrode. Edwin, der nach dem Tod seiner Mutter bei seiner Großmutter lebt, wird 1950 in die Familie Riesenkampff aufgenommen. Dr. med. Riesenkampff lässt sich als Hausarzt in Essenrode nieder, eröffnet eine Praxis im neu erbauten Eigenheim, in dem dann auch Edwin aufwächst.

Später heiratet Edwin Jakimowitsch und gründet in Essenrode eine eigene Familie. Dort lebt er mit seiner Ehefrau. Seine erwachsenen Kinder leben ebenfalls in Essenrode.

Lettland und seinen Geburtsort bereist Edwin Jakimowitsch später mehrmals. Die Gedanken an seine Eltern und die Bilder, wie sie fröhlich durch die Straßen Mitaus gehen, begleiten ihn dabei.

Vertreibung aus Schlesien

Vertreibung aus Schlesien

Dorchen Remus wird am 8. Juli 1935 als zweites Kind ihrer Eltern in dem kleinen schlesischen Ort Tscherbeney in der Grafschaft Glatz als Dorothea Gebauer geboren. Schon bald wird sie von allen Dorchen genannt.

Als Dorchen 1 1/2 Jahre alt ist, stirbt die Mutter. Nach dem Tod der Mutter werden sie und ihr Bruder Siegfried getrennt und kommen jeweils zu den Großeltern. Als der Vater 1941 ein zweites Mal heiratet, kehrt Dorothea zur Einschulung in die Familie zurück, die zwischenzeitlich in ein Fabrikhaus nach Sakisch gezogen ist. Vater und Mutter arbeiten in der Weberei Christian Dierig in Sakisch-Gellenau. Wenig später wird der Vater als Soldat eingezogen.

Dorchen bleibt nach Kriegsende vorerst in Sakisch. Wie Tausende andere Deutsche wird sie bald darauf aus Schlesien vertrieben. Die Vertreibung ist eine Folge der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten.

https://www.kulturwerk-schlesien.de/home/index.html

“Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde Tscherbeney 1937 in Grenzeck umbenannt. Als Folge des Zweiten Weltkriegs fiel Tscherbeney / Grenzeck 1945 wie fast ganz Schlesien an Polen und wurde zunächst in Czerwone und später in Czermna umbenannt. Die deutsche Bevölkerung wurde zum größten Teil vertrieben. Schon vorher waren zahlreiche Bewohner über die nahe Grenze in die Tschechoslowakei geflohen. Die neuen Siedler waren ihrerseits zum Teil Heimatvertriebene aus Ostpolen. In den 1950er Jahren wurde Czermna nach Kudowa-Zdrój eingemeindet.” Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Czermna

Schlesien und das Sudetenland waren bis zum Kriegsende vergleichsweise ruhiges Hinterland und Evakuierungsgebiet für die vom Bombenkrieg stark betroffene Bevölkerung der westlicher gelegenen Städte und Industrieregionen.

Im Januar 1945 begannen auch in Schlesien die Menschen vor der Roten Armee zu fliehen, teils nach Sachsen und Thüringen, teils über das Riesengebirge ins Sudetenland.

Herkunftsgebiete der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen. Quelle: https://www.lwl.org/aufbau-west/LWL/Kultur/Aufbau_West/flucht/flucht_vertreibung/ablauf/index.html
„Von 1944 bis Kriegsende wurden bis zu sechs Millionen Deutsche aus Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie evakuiert oder mussten fliehen. Viele von ihnen kehrten zurück, als die Kriegshandlungen eingestellt wurden. Zuhause angekommen erlebten sie dann, was für die Zurückgebliebenen und von der Front Überrollten bereits bitterer Alltag geworden war: Plünderungen und Misshandlungen, willkürliche Erschießungen – und die Frauen Massenvergewaltigungen durch Soldaten und Offiziere der Roten Armee. Die Menschen hofften, dass diese durch eine Mischung aus Siegesrausch und dem Bedürfnis nach Vergeltung gespeisten Exzesse vorübergehend wären und glaubten, dass sich die Situation nach Kriegsende wieder normalisieren würde.

Polen, das 1939 durch Hitler und Stalin zum vierten Mal in seiner Geschichte von Deutschen und Russen geteilt worden war und nach dem Zweiten Weltkrieg einen Großteil seines Vorkriegs-Staatsgebietes im Osten auch nicht wiederbekam, wurde mit Schlesien, Pommern und dem südlichen Teil Ostpreußens entschädigt. Es wollte diese Gebiete möglichst rasch von ihren deutschen Bewohnern leeren, um künftigen Anschlussbestrebungen nach Deutschland vorzubeugen und seine These zu untermauern, es handele sich hier sowieso um wiedergewonnene urpolnische Gebiete. Zugleich sollten dort die Menschen untergebracht werden, die aus dem bei der Sowjetunion verbliebenen Landesteil vertrieben wurden.”

Quelle:.https://www.lwl.org/aufbau-west/LWL/Kultur/Aufbau_West/flucht/flucht_vertreibung/ablauf/index.html

https://www.lwl.org/aufbau-west/LWL/Kultur/Aufbau_West/flucht/flucht_vertreibung/ablauf/index.html

Kriegsende in Sakisch

Während Dorchens Vater noch nicht wieder aus dem Krieg zurückgekehrt ist, bleibt Dorchen mit ihrer “zweiten” Mutter und ihrer 1942 geborenen Schwester Lenchen über das Kriegsende hinaus in der Fabrikwohnung der Weberei wohnen. Drei Tage bevor die Russische Armee in Sakisch einmarschiert, bringt Dorchens Mutter die Zwillinge Evi und Günther zur Welt. Das Kriegsende wird der 9-jährigen Dorchen bewusst, als sie auf dem Weg zu den Zwillingen im Krankenhaus russische Soldaten durch die Straßen von Sakisch fahren sieht. Dorchen und ihre Familie machen in Sakisch keine schlechten Erfahrungen mit russischen Soldaten. Eine der Wohnungen in dem Fabrikhaus, in dem auch sie mit ihrer Familie lebt, muss für die russische Kommandantur geräumt werden. Später wohnen polnische Soldaten als Untermieter im Haus. Heute sagt sie dazu:

Dadurch blieben wir vor Plünderungen und Übergriffen verschont. Die Russen waren zu uns Kindern gut. Sie haben Spielzeug für uns gebastelt und mit uns Lieder gesungen.Dorothea Remus im Zeitzeugeninterview 2019

Vertreibung

Bis zum 22. März 1946 bleibt Dorchen mit Mutter und Geschwistern in Sakisch. Dann ereilt auch sie das Schicksal der Vertreibung. Am 22. März werden sie, wie alle anderen dort verbliebenen Deutschen aufgefordert, Schlesien, das nun zu Polen gehört, zu verlassen. Die Wohnung muss sofort geräumt werden. Die Nacht verbringen sie im Finanzamt in Glatz. Am nächsten Morgen geht es zum Bahnhof. Von dort geht die Fahrt in Viehwaggons weiter ins Ungewisse.

Der Zug, der in Richtung Westen fährt, macht zwischendurch immer wieder halt. Das Deutsche Rote Kreuz versucht so gut es geht Essen zu verteilen. In Kohlfurt werden alle Zuginsassen entlaust.

“Der Aufenthalt der Züge in Kohlfurt/Kalawsk sollte im Durchschnitt nicht
länger als drei Stunden dauern. Die Vertriebenen hatten die Waggons zu verlassen und wurden auf dem Bahnsteig in Zweierreihen von den britischen Soldaten, deren Anwesenheit wohlwollend registriert wurde, gezählt. Ebenfalls auf dem Bahnsteig wurden sie dann einer Prozedur unterworfen, die allen Betroffenen in unangenehmer Erinnerung geblieben sein wird, der Entlausung. Jedem wurde mit einem Staubsauger ähnlichen Gerät in fünf Stößen zunächst in die Haare, dann unter das Hemd auf die Haut vorne und hinten ein graues Pulver, DDT, geblasen. Zu dieser Zeit war man noch nicht dafür sensibilisiert, dass DDT nicht nur wirksam Ungeziefer wie Läuse bekämpft, sondern auch für Mensch und Natur äußerst schädlich ist.” Quelle: MANFRED WOLF, Operation Swallow; Der Weg von Schlesien nach Westfalen im Jahre 1946; Quelle: Westfälische Zeitschrift 34, 1999 / Internet-Portal “Westfälische Geschichte” URL: http://www.westfaelische-zeitschrift.lwl.org

Von Kohlfurt setzt der Zug seine Fahrt fort und kommt schließlich in Helmstedt Mariental an. Ein Teil des ehemaligen Militärfliegerhorstes Mariental diente von November 1945 bis April 1947 als Durchgangslager für Vertriebene. Für etwa 750.000 Menschen, die meisten von ihnen aus Schlesien, war Mariental der Zwischenstopp auf einer Bahnfahrt ins Ungewisse. Von hier aus wurden sie auf Dörfer und Städte verteilt.

Ankunft in Wendhausen

Nach ihrer Ankunft übernachten die Menschen aus Glatz im Durchgangslager Mariental, bevor es am nächsten Tag nach Lehre weiter geht. In Lehre werden Dorchen und ihre Familie zunächst in Baracken auf dem Muna Gelände (Munitionsanstalt) untergebracht, bevor die Weiterverteilung auf die umliegenden Orte erfolgt. Die Gemeinschaft der Menschen aus den Fabrikhäusern der Weberei in Sakisch landet schließlich gemeinsam in Wendhausen. In Wendhausen kommen die fünf Gebauers in zwei kleinen Zimmern auf einem Bauernhof unter. Dorchens Vater wird einige Zeit später aus dem Lazarett in Tirschenreuth entlassen und findet den Weg zurück zu seiner Familie. Bei Voigtländer in Braunschweig findet er gleich eine neue Arbeit.

Einige Jahre später verliebt sich Dorchen als junge Frau in Rudi Remus, der im Frühjahr 1945 aus Pommern nach Essenrode geflüchtet ist. Sie heiraten, wohnen zunächst gemeinsam in Wendhausen und 1958 wird ihr Sohn Dieter geboren. In den 1970`er Jahren zieht es sie nach Essenrode, wo sie ein Eigenheim bauen und ein neues Zuhause finden.