refuge - confidence - future

Über uns und das Projekt

Über uns und das Projekt

Dr.-Ing. SABINE C. LANGER
forscht und lehrt an der Technischen Universität Braunschweig als Professorin für Akustik in den Bereichen Modellierung, Technologiebewertung und Innovations-fähigkeit.
Sie begleitet Menschen innerhalb und außerhalb des universitären Kontextes bei ihrer Entwicklung und der Entfaltung persönlicher und kollektiver Potentiale. Gemeinsam mit Roland Remus initiierte sie 2019 das Projekt ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT, das beide seitdem kontinuierlich weiterentwickeln.

ROLAND REMUS
war fast vier Jahrzehnte als Kriminalbeamter in unterschiedlichen Funktionen konfrontiert mit vielfältigen Traumatisierungen. Sein Interesse gilt der transgenerationalen und kollektiven Traumarbeit und der Frage, wie sehr unsere Vergangenheit unsere Gegenwart und Zukunft beeinflusst.
Heilpraktiker für Psychotherapie, Fortbildungen in Systemischer Familienaufstellung und Familientherapie, Fortbildungen an der Academy of Inner Science, Collective Trauma Facilitator Training. Seit 2004 eigenes Seminar- und Beratungsangebot.

Das Projekt ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT und der gleichnamige Dokumentarfilm wurden 2023 in das Zeitzeugenarchiv des Berliner Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöhnung aufgenommen.

Die Frage nach den Anfängen von ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT  lässt sich nur schwer beantworten. Lange interessierten wir uns schon für die Zusammenhänge innerhalb von Familien und deren Wechselwirkungen, als wir 2012 begannen, uns mit dem Entstehen und den Folgen individueller Traumatisierungen zu beschäftigen. 2017 kam dann der Aspekt des kollektiven Traumas hinzu, während wir ein einjähriges internationales Training absolvierten, 

© Roland Remus

das mit einem einwöchigen Workshop in Israel begann. Die Non-Profit-Organisation „The Pocket Project“ hatte das Training organisiert, in dem wir uns gemeinsam mit 151 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 39 Ländern mit transgenerationaler und kollektiver Traumarbeit beschäftigten.

Für uns haben die tiefen Begegnungen und berührenden Erlebnisse während dieser Woche in Israel entscheidend zum Entstehen des Projekts beigetragen. Teil des Jahrestrainings war auch die Einladung an die Teilnehmenden, in ihren Herkunftsländern eigene Projekte zur Aufarbeitung und Integration kollektiver Traumata ins Leben zu rufen. 

Nach unserer Rückkehr aus Israel reifte in uns sehr schnell die Erkenntnis, dass eine Beschäftigung oder gar Aufarbeitung kollektiver Traumatisierungen kaum möglich ist, ohne sich zuvor den potentiellen eigenen, individuellen Traumatisierungen zuzuwenden.
Diesen neuen, geschärften Fokus im Blick, stellten wir uns zunächst die Frage, ob es Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auch in uns gibt und falls ja, in welchem Maße sie vielleicht unser eigenes Leben mit beeinflusst haben. Da wir in den 1960er und 1970er Jahren geboren wurden, haben wir den Krieg nicht selbst erlebt. Unser Ansatz war es daher, zu untersuchen, was unsere Eltern als sogenannte „Kriegskinder“ erlebt haben und ob und wie deren Erfahrungen möglicherweise transgenerational an uns weitergegeben wurden.

Ausgehend von dieser Fragestellung beschäftigten wir uns zunächst mit unseren eigenen Familiengeschichten. Wir suchten all die Orte auf, die in unseren Familien eine besondere Bedeutung hatten. Orte, von denen unsere Eltern und Großeltern am Ende des Zweiten Weltkrieges fliehen mussten und Orte, aus denen sie vertrieben wurden. Den Ort, an dem mein (Roland Remus) Großvater erschossen wurde und den Ort, aus dem meine Mutter als 16-Jährige aus der DDR in den Westen floh.

Als ich (Roland Remus) auf dem Boden des Gutshofes in Pommern stand, von dem mein Vater als 14-Jähriger in der Nacht des 29. Januars 1945 von der einen auf die andere Minute fliehen musste, konnte ich körperlich und emotional fühlen, was es für ihn bedeutet haben muss, fliehen zu müssen und entwurzelt zu werden.

Die Reisen an die Orte unserer Großeltern und Eltern, die wir auch zum Teil gemeinsam mit unseren Eltern und Kindern machten, führten schließlich dazu, dass wir unser Erleben, das für uns eine oft tief berührende und auch befreiende Wirkung hatte, mit anderen Familienmitgliedern teilen wollten. Wir erweiterten also den Radius von der individuellen Ebene und der der Kernfamilie auf die erweiterte Familie. Bei einem Familienfest 2017 mit vier Generationen teilten wir unser Erleben und tauchten über die Generationen hinweg gemeinsam in die Geschichte der Familie ein.

Nachdem wir uns intensiv unserer individuellen Ebene und den Familienhintergründen von Flucht und Vertreibung gewidmet hatten, erweiterte sich der Radius des Projektes: Vom Individuellen und der eigenen Kernfamilie hin zur erweiterten Familie und dem Transgenerationalen.

Anfang 2019 tauchte dann der nächste Erweiterungsschritt auf.  Wir wendeten uns dem Kollektiven in dem Dorf zu, in das die Familie von Roland Remus am Ende des Zweiten Weltkrieges geflüchtet war. Aus den einzelnen Prozessschritten formte sich nun ein Projekt, dem wir den Namen ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT gaben.

Flüchtlingstreck [Symbolbild]

Das Projekt ZUFLUCHT-ZUVERSICHT-ZUKUNFT widmet sich dem Thema Flucht und Vertreibung am Ende des Zweiten Weltkrieges. Es werden Schicksale von Menschen und Familien nachgezeichnet, die als Flüchtlinge und Vertriebene am Ende des Zweiten Weltkrieges in dem kleinen niedersächsischen Dorf Essenrode ihre Zuflucht, Zuversicht und  Zukunft fanden.  Durch die Aufnahme von Geflüchteten und Vertriebenen verdoppelte das Dorf 1945 seine Einwohnerzahl nahezu.

Aus der Anonymität der Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen erhalten ihre Schicksale ein Gesicht, bekommen einen Namen und werden ins kollektive Gedächtnis gerufen. Das bewusste Erinnern schafft zudem die Möglichkeit, nicht mit der Vergangenheit verhaftet zu bleiben, sondern dass das traumatische Erleben integriert werden kann. Dabei steht nicht nur das eigene Erleben der Betroffenen im Fokus, sondern auch der transgenerationale Aspekt, die Auswirkungen auf nachfolgende Generationen, und die sozialen Auswirkungen auf die dörfliche Gemeinschaft.

Ausblick 2024

In einem zweiten Dokumentarfilm greifen wir den Aspekt der transgenerationalen Weitergabe von Trauma auf, also den Aspekt, dass ungelöste Traumata von einer Generation auf die nächste übertragen werden können. Im Film wird es um den Perspektivwechsel von den Kriegskindern (der sog. Erlebnisgeneration) zu deren Kindern gehen. Es geht also um die Generation (Kriegsenkel-Generation), die Krieg, Flucht und Vertreibung nicht persönlich erlebt hat, aber in Familien aufgewachsen ist, in denen die Kriegstraumatisierung in vielen Fällen bewusst oder unbewusst sehr prägend für sie war. Der Film soll u.a. zeigen, wie das Erlebte von Eltern und Großeltern das eigene Leben mitbestimmt hat und soll die Symptome aufzeigen, die die nachfolgenden Generationen vielleicht bis heute spüren und die ihr Leben beeinflussen. Es sollen aber auch Ressourcen und möglich Wege aufgezeigt werden, transgenerationales Trauma zu bearbeiten und zu lösen. 

Dafür werden Menschen aus dieser Generation interviewt und es wird gezeigt, wie sie das Thema individuell bearbeitet haben (z.B. eine Künstlerin, die mit zwei Stelen die Geschichte ihrer Großväter bearbeitet hat, dem polnischen Großvater, der im KZ starb, und ihrem deutschen Großvater, der als Wehrmachtssoldat am D-Day kämpfte; ein Musiker, der ein Stück komponiert hat, um die Geschichte seines Großvaters und

© Roland Remus

seine Verbindung zu ihm zu verarbeiten, eine Schauspielerin, die ein Theaterstück über die Geschichte ihres Großvaters geschrieben hat, der im Dritten Reich Waffen entwickelt hat; eine Fotografin, die die Geschichte ihres Großvaters und ihre Kindheit in Kurzfilmen und Doppelbelichtungen (Fotos ihres Großvater und Fotos ihrer Kindheit übereinandergelegt) bearbeitet hat; uvm.). Mit den Protagonist*innen sollen auch die Orte aufgesucht werden, von denen ihre Eltern oder Großeltern flüchten mussten oder vertrieben wurden. Darüber hinaus sollen aber auch Experten aus unterschiedlichen Disziplinen zu Wort kommen, z.B. Historiker*innen und Traumaexpert*innen.